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Versuch einer Parodie aufs Boulevard


Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich. Der Grund ist meist eine unglückliche Kindheit und manchmal auch schlecht gekochter Grünkohl. Da hilft nur eine Intervention, denkt sich Gudrun (Victoria Trauttmansdorff), die überengagierte Tante. Denn es gilt Jannis, den verlorenen Sohn, zu retten. Der ist auf die schiefe Bahn geraten und soll nun von der liebenden Familie beim alljährlichen Grünkohlessen gerettet werden. Doch wer diese Familie kennt, ist gut beraten genau das zu tun, was Jannis macht: Diese Einladung auszuschlagen und diesem Treffen fern zu bleiben.
Während des Wartens auf Jannis wird sonnenklar: Alle diese Menschen haben ihrerseits eine kleine oder größere Therapiesitzung nötig und so gibt es auch im Vorwege der eigentlichen Intervention genügend zu sagen. Jeder dieser Charaktere hat sein eigenes Päckchen zu tragen und das packt er oder sie im Laufe des Abends auch vor allen anderen aus.
Eine völlig absurde Familienaufstellung ist aus der Zusammenarbeit von Sven Regener und Leander Haußmann geworden.
Nach der Intervention der Intendanz nun in der um fast die Hälfte gekürzten Version bleibt noch genügend an Sinnlosigkeiten, Albernheiten und Überdrehtheiten übrig, um hin und wieder beim Zuschauen in fassungsloses Kopfschütteln zu verfallen. Doch da dieser Klamauk, der stets ins Leere läuft und kein Ziel hat, von dem Thalia-Ensemble gegeben wird, schaffen sie es tatsächlich ein paar Metaebenen in dieser um sich selbst drehende Schraube der Bedeutungslosigkeiten zu bringen.
Und genau das scheint auch zum Reim zu führen, den man sich auf dieses Stück machen kann: Eine Familientherapie ist ein komplett sinnloses Unterfangen. Zu denken, dass nur die richtige Erkenntnis gewonnen werden müsste und alles werde wieder gut, ist ein totaler Irrglauben, den die beiden traurigen Komödianten uns hier vorführen. Keiner dieser Familienmitglieder ist dazu in der Lage, von den eigenen Ego-Problemchen abzusehen und sich wirklich um den anderen zu kümmern. Diese Familie - oder vielleicht eher Familie generell - ist ein unauflösliches Knäuel an Verstrickungen, das keine noch so geschickte Familienaufstellung heilen könnte. Und wenn: Dann würde alles gleich wieder von vorne anfangen, wie das Ende des Stückes zeigt. Schon ist das Gastgeberehepaar Katja und Markus wieder in den Vorbereitungen für die nächste Intervention.
Jens Harzer ist das Zentrum dieses Abends. Wie er ist seinem mit seinem dunklen Wuschelkopf im eleganten Anzug hier den überspannten, versponnenen Gastgeber spielt, der geschickt an allen Fäden gleichzeitig zieht, ohne irgendetwas zu bewirken, ist grandios. Seine Ehefrau Gabriela Maria Schmeide ist ihm eine wunderbar gleichwertige Gegenspielerin.
Hier wird also einiges durch den Kakao gezogen: die Familie, die Interventionstherapie und nicht zuletzt das Boulevardtheater. Haußmann und Regener versuchen sich an einer schlauen Parodie des Boulevard. An allem schabt diese Aufführung haarscharf vorbei und kratzt dabei kräftig an der jeweiligen Oberfläche. Trotz schlechter Kritiken ein fast bis auf den letzten Platz gefülltes Haus und ein durchweg amüsiertes Publikum. Was die Kritik verschmäht, kann also wohl dennoch dem Publikum gefallen.
Birgit Schmalmack vom 5.4.23