Berlin-Frühjahr-Special 2012

In Motion Auf einer Rolle Backpapier versucht Modjgan Hashemian zu tanzen. Mit dem einen Fuß rollt sie die eine Seite auf, macht ein paar Schritte, da nimmt ihr schon wieder die zurückschnellende Rolle den Raum der Bewegungsfreiheit. Zum Schluss ist sie ganz vom dem Knisterpapier eingewickelt und stürzt in einen Pappkarton. Um Freiräume der Bewegung geht es in ihrem Stück „In Motion“, das sie mit dem Tänzer Kaveh Ghaemi zusammen entwickelt und im Ballhaus Naunynstraße aufgeführt hat.

The Day before..., Schaubühne Niels (Bormann) hat eine Mission zu erfüllen: Er soll die Menschen von ihrer Gleichheit und Einigkeit überzeugen. Denn die Zeit wird knapp, eine Katastrophe steht kurz bevor. Auch der eingeladene jüdische Futurologe rechnet mit einem Ausbruch um 2018 bis 2020. Doch Niels hat viele Hindernisse zu überwinden. Die religiösen Eiferer sind auf allen Seiten unterwegs, um auf Seelenfang zu gehen. Sogar unterm Publikum der Schaubühne versuchen sie Werbung für die passende zeitgemäße Religion zu machen. Sind sie bereit auf Schinken zu verzichten? ...

Aufzeichnungen aus dem Untergrund Ingrun Aran hat im kleinen Theater unterm Dach eine behutsame Aktualisierung des Romans Dostojewskijs vorgenommen. Die Videoprojektionen auf den weißen Bühnenraum lassen ahnen, womit dieser Stadtneurotiker heute seine Zeit verbringen würde: mit Chatten, Sexseiten und Online-Spielen. Seine einsamen Machtfantasien lebt er als vor Waffen strotzende Kampfmaschine aus. Im Gegensatz zur Zeit Dostojewskijs kann er seine Illusionen der eigenen gesellschaftlichen Bedeutung noch perfekter ausmalen. Sein Kellerloch umgibt den Schein der großen weiten Welt des worldwidewebs. ...

Zeit zu lieben, Zeit zu sterben, MGT Zeit zu lieben, Zeit zu sterben am MGT, Foto: Bettina Stöß

Effi Briest, MGT Ist Glück ein Zustand des Lebens, der anzustreben ist? Für Effi Briest ist das ebenso wenig eine Frage wie für die meisten Menschen, die gut hundert Jahre später leben. Als junges 17-jähriges Mädchen hüpft sie mit Springseil und in Ringel-T-Shirt auf die Bühne. Überglücklich schildert sie ihre Verlobung mit dem biederen, strengen Baron von Instetten (Robert Kuchenbuch). „Effi mit zwei f ehelicht Geert mit zwei e“, so kalauert die noch naive Effi....

Versprechen, MGT Die Welt ist verschwunden, nur Gert ist noch da, stellt Chrissi zu Beginn fest. Dieser Gert liegt auf dem Holzboden, der sich wie ein Halfpipe bis in den Bühnenhimmel wölbt. Denn Gert wartet immer noch auf den Mörder an der Tankstelle, die er sich extra für diesen Zweck gekauft hat. Der ehemalige Kommissar hatte einer Mutter das Versprechen gegeben, den Mörder ihrer Tochter zu finden. Seine komplette Lebensplanung stellte dieses "Versprechen" auf den Kopf... Peter Kurth und Fritzi Haberlandt im "Versprechen", Foto: Bettina Stöß

Schloss, Deutsches Theater Nichts hätte näher gelegen, als diese Geschichte in ein Deutschland zu verlegen, in dem ein Mensch mit Migrationshintergrund den Aufstieg versucht und scheitern muss. Doch Regisseur Nurkan Erpulat, zuvor mit einer furiosen Inszenierung am Ballhaus Naunynstraße bekannt geworden, steht für „postmigrantisches Theater“ und lässt sich für solche Deutungen nicht vereinnahmen. So ist K. ein blonder Deutscher, der verzweifelt versucht sich durch die undurchschaubaren bürokratischen Strukturen des ominösen Schlosses und die unverständlichen Regeln der Dorfgesellschaft zu lavieren, um Zugang zu finden zu dem Land, in dem er gelandet ist....

Käthchen von Heilbronn, Deutsches Theater Ein Blick in eine Schreibstube wird gewährt. Sechs fleißige Federschreiber sitzen in Einheitskluft an ihren Einheitstischen und stellen Texte her. Ihre enge Bretterklause ist mit Notizzetteln bis unter die Decke behängt. Hier sind Ideen, Formulierungen, Wendungen, Handlungsverläufe festgehalten. Werden sie benötigt, klettert einer der Schreiber auf eine der Leitern empor oder läuft an einem Seilzug angekettet die Wände bis zur gewünschten Stelle hoch. Der Autor Kleist tritt hier gleich in sechsfacher Ausführung auf. Er sucht in der Diskussion mit den verkörperten Stimmen in seinem Kopf nach einem Stoff, der dem Publikum gefallen und ihn aus seiner misslichen Geldknappheit befreien möge. ...

Joseph und seine Brüder nachtkritik: "Joseph und seine Brüder – am Deutschen Theater Berlin setzt Alize Zandwijk bei John von Düffels Thomas-Mann-Bearbeitung auf Effekte"