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Jeder trägt ein Zimmer in sich



Dieses Zimmer bringt der Regisseur Thom Luz auf die Bühne. Doch es ist keineswegs behaglich und fest gefügt. Es bietet kein Zuhause. Seine Wände fliegen immer wieder auseinander, es befindet sich im steten Umbau. Sein Fenster ist überlebensgroß, Ausstattung bietet es außer einem Kaminofen und einem Stuhl kaum (Bühne: Duri Bischoff). Der dient aber weniger zum Heizen, als vielmehr zum Kopf Hineinstecken. Auch die Mieter ringsherum sind merkwürdige Gestalten. Sie schneien herein und haben komische Anwandlungen. Denn sie sind eher Geister als tatsächliche Mitmenschen (Jan-Peter Kampwirth, Eva Maria Nikolaus, Bettina Stucky, Michael Weber). Genau so wie der Bewohner (Lars Rudolph) dieses unbehausten Zimmers. Er ist ein Heimatloser, ein unruhiger Geist, ein Todessehnsüchtiger. Es ist das Alter Ego Kafkas oder er sogar selbst. So wortgewaltig dieser Dichter auch sonst ist, hier wird wenig gesprochen. Denn in dem Ausgangsmaterial dieser Produktion "Die acht Oktavhefte" ging es für den Autor Kafka eher über die Überwindung einer Schreibblockade durch tägliche Übungen als um einen zusammenhängenden Text. Also geht es in der Interpretation von Luz auch eher um Atmosphäre und um Emotionen, die eher angedeutet als ausformuliert werden. Immer wenn die Figuren auf der Bühne gerade ansetzen zu sagen, "Ich würde gerne", tutet das riesige Nebelhorn, das von der Decke hängt. Dann hetzen sie wieder von einem Fleck der Bühne zum nächsten, immer auf der Suche nach Etwas, was sich nie greifen lässt. Die fünf Bewohner (hier sind es nur vier), die hier zufällig in einem Haus wohnen, haben sich aneinander gewöhnt, auch wenn sie sich nicht kennen und nicht verstehen. Doch sie haben sich arrangiert, Nun kommt der Fünfte (der Ich-Erzähler) hinzu und sie wissen genau, wer sie stört, dieser Neu Hinzugezogene, der zu einem einsamen Außenseiter wird.
In den "Acht Oktavheften" hat Kafka Tagebucheintragungen, Geschichtenideen, Gedankensplitter gesammelt, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Sie kennen keinen Handlungsstrang wohl aber eine Grundstimmung. Der gibt Luz mit seinem hervorragenden Ensemble, dem Bühnentechnikerchor und dem Pianisten Daniele Pintaudi ein intensives dichtes Atmosphärengespinst, in dem sich die Schauspieler:innen traumwandlerisch bewegen und verfangen. Zum Schluss wird das Piano in Richtung Bühnenhimmel gezogen. Zunächst hält es Kafka mit einem Seil noch in Position oder ist es andersherum: Hält es Kafka selbst gefangen? Dann kommen ein paar der Bühnenarbeiter, tragen ein Bett herein und binden das Seil am Bett fest, in das sich Kafka legt. Unter dem Seil stellt er jedoch zuvor eine Kerze auf einen Stuhl. Nun braucht er bloß noch darauf zu warten, bis das Piano direkt auf seinen Körper stürzen wird. Schon zischt es gefährlich unter dem Seil und einzelne Fäden verglühen. Ein Kunstwerk der Stimmungen, Bilder, Emotionen und Klänge hat Luz hier geschaffen, dem man sich ganz hingeben muss, um es genießen zu können. Wer hier Handlung und wortreichen Inhalt erwartet, ist im falschen Stück.

Birgit Schmalmack vom 21.3.23