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Plädoyer für die Verletzlichkeit

Niemand wartet auf dich, Sprechwerk Foto: Alexandra Klever


Gerda übernimmt Verantwortung. Die 85 jährige Frau kümmert sich. Sie zeigt nicht mit dem Finger auf andere sondern kommt selbst in die Aktion. Sie unterscheidet klar zwischen ihren eigenen Angelegenheiten, denen der anderen und denen Gottes. Ihre eigenen erkennt sie daran, dass sie in ihnen selbst etwas ändern kann. So stapft sie los, mit einem Müllbeutel, einem Paar Gummihandschuhen und sammelt den Müll in ihrer Nachbarschaft auf. Obwohl ihr das Bücken schon sehr schwer fällt, tut sie etwas und fühlt sich gut dabei, etwas zur Gemeinschaft beitragen zu können. Mag ihr Beitrag auch noch so klein sein, sie erfährt Selbstwirksamkeit und das tut ihr gut.
Genau im Gegensatz zum Gefühl der Politikerin Ida, die nach 30 Jahren im Amt ihren Rücktritt erklärt. Sie war angetreten, um die Welt besser zu machen und ihren Kindern gerade in die Augen blicken zu können. Doch nun muss sie erkennen, dass sie in den Rädern des politischen Getrieben immer nur noch den kleinen nächsten strategischen, machtpolitischen Schritt im Visier und den Überblick auf das große Ganze längst verloren hat. Der Politikbetrieb erlaube keine Debatte mehr nur noch unumstößliche Meinungen, er unterstütze keine demokratische Kompromisssuche mehr sondern nur noch konfrontative Schlagabtausche. Er wolle nur Erfolge sehen und erlaube keine Fehler, kein Scheitern, keine Verletzlichkeit. Habe damit alle Entwicklung, alles Menschliche verloren und könne so keine Verbesserungen mehr erreichen.
Die Schauspielerin, die sich in ihrem Projekt verwirklichen will, sucht dagegen noch nach dem großen Wir mit den Zuschauern. Sie träumt von einer Menschheit, die sich als ein großer Körper begreifen und damit erkennen könnte, dass wir nur zusammen eine Lösung zur Verbesserung dieser Welt finden können.
Drei Frauen, drei Monologe, drei Haltungen zur Veränderung dieser Welt. Mal im ganz Kleinen, mal im Politischen, mal im Menschlichen. Mal pragmatisch, mal strategisch, mal sozial-menschlich. Theresa Berlage schlüpft in alle drei Rollen. Immer gleich sympathisch, immer ehrlich, immer direkt, immer nahbar, immer ganz dicht an den Zuschauer:innen. Die hier ganz konsequent mit auf der Bühne sitzen und zusammen mit der Schauspielerin einen Stuhlkreis bilden. Sie erleben die drei Frauen hautnah, können alle bei ihrem herumlaufenden Denken zuschauen. Die Bühne ist ein Müllhaufen aus sauberen Plastikteilen, die überall verstreut liegen. Im Laufe des Abends schiebt Berlage den Müll zusammen, errichtet einen Müllberg, der aber nur noch einen begrenzten Platz einnimmt. Er ist nicht weniger geworden, wurde aber ein bisschen eingehegt. Ein gutes Bild für den Umgang der Menschen mit den selbst gemachten Problemen.
Ein kluges Stück der niederländischen Autorin Lot Vekemans, das unter der Regie von Martin Maecker mit wenigen, konzentriert eingesetzten Mitteln auf die Bühne gebracht wurde. Ein toller Theaterabend. Inhaltlich anregend, brillant gespielt, mit wenig Aufwand umgesetzt. Theater pur, so geht es auch.
Birgit Schmalmack vom 23.2.23