Kunstcamp


Unkraut – ein anderes Wort für Stärke

Das Thema des diesjährigen Kunstcamps ist „Unkraut“. Unkraut scheint auch ein Synonym für Stärke und Wandlungsfähigkeit zu sein. Sehr passend für die Spezies von Künstlern, die dieses Jahr wieder ihr Wesen auf dem Festivalgelände treiben und besondere Kreativ-Gewächse sprießen lassen.
Auf zwangslosen Spaziergängen führen die Kommunikatorinnen (erkenntlich an ihren schicken Schärpen) führen zu den hot spots.
Die „Krautzungen“ feiern in ihrer „Galerie des Tages“ jeden Tag eine Vernissage. Doch ihr Publikum ist kein exklusives, das in teurem Outfit Sekt schlürfend mehr sich selbst als die Kunstwerke ausstellt. In den geschlossenen weißen Kubus schwappen Teile des Partyvolks, das in lockerer Sommerkleidung und staubfestem Schuhwerk auf das Dockville Gelände in Wilhelmsburg gekommen ist. Den einen Tag dürfen sie einen hier gelandeten Vogel bestaunen, der aus den Fundmaterialien des Geländes entstanden ist, den nächsten Tag locken Fotos von Großstadtansichten, die mit viel Nebel und DJ-Mucke eingelullt werden.
„Umschichten“ haben für die Kreativen eine Wagenburg namens „Igel“ gebaut, in die sie sich bei Bedarf zurückziehen können. Die mit zahlreichen Holzlatten bewehrten Schlaf-Module sind nach indigenem Vorbild zu einem Rund um einen Feuerplatz gestellt.
Die „Frl.Wunder AG“ erstellte in der ersten Woche eine Landkarte mit den Lieblingsplätzen der Besucher in Wilhelmsburg, nur um danach alle die Plätze endlich einmal ihrer entsprechenden Würdigung in einer Audio-Fahrradrundtour erfahren zu lassen, die keiner besucht.
Alban Muja hat in seinem grafisch klarem „Artist Move“ die Bewegungen von Künstlern über das Gelände erforscht und mit bunten Eisenstangen festgehalten. Auf dem akkuraten, weißen Kreis aus Kieselsteinen wirken sie wie ein mythisches Symbol. Andreco hat einen überdimensionalen Polyeder namens „New Natural Symbolism“ aus Holzlatten gebaut, die er mit Rankpflanzen überwuchern lassen will. Hier begegnet sich ein überdimensioniertes Modell von chemischen Bindungsstrukturen mit botanischer Materie in natürlicher Größe. Noch winden die zarten Pflänzchen gerade einmal die ersten Verstrebungen empor, doch das Festival ist ja noch nicht zu Ende.
Den Sozialneid bebildert Lana Čmajčanin mit ihrer dreidimensionalen Wand „Perspectives“, die den Schriftzug „The grass is always greener on the other side“ zeigt. Aber auf beiden Seiten. Doch es gibt weder hüben noch drüben Gras sondern nur graue Bauschutterde.
Lenika Long schuf aus Bauschutt einen Vulkan „Intervello“ für das Dockville. Aus ihm qualmt es dauernd bedrohlich. Droht er auszubrechen? Doch die zahlreichen Rohre, die ihm Abluft verschaffen könnten, irritieren und beruhigen gleichzeitig. Immer wieder sorgt die Künstlerin selbst für Veränderung, wenn sie in ihren Performances neue Teile hinzufügt oder frühere abmontiert. Sie will damit den Blick wieder auf das Alltäglich, Hässliche richten und seine Schönheit und Spielräume aufzeigen.
Julia Herfurth legte ein „Herbarium“ an, das Pflanzen des Geländes dokumentiert, die in Amerika dank der Chemiefirma Monsanto schon ausgestorben sind. Dort wiederum gibt es mittlerweile Mutationen, die Resistenzen gegen die Unkrautvernichtungsmittel entwickelt haben.
Aus alten Fahrradteilen entsteht bei Sebastián Muhr die beeindruckende Installation „The Wheel Machine“, die eine Begegnung von Technik und Natur zu ermöglichen scheint. Ein maschinenbetriebenes, ineinander verwobenes perpetu mobile aus Reifen, Lenker und Pedalen verändert durch angehängte Gewichte immer wieder überraschend seine Bewegungsrichtung. Er ragt aus einem Grab für angerostete Radgabeln heraus, das schon halb von Unkraut überwuchert ist. Faszinierend kunstvoll konstruiert.
Nächstes Wochenende öffnet das Kunstcamp wieder ab Donnerstag seine Tore. Ein Höhepunkt wird der beliebte Vogelball am Samstag sein. Sonntag wird dann bei freiem Eintritt zur Blockparty geladen. Aber auch die Performances von Daniel Cremer an allen vier Tagen zu verschiedenen Zeiten lohnen sicher einen Besuch. Für sein Programm erhält das Publikum erstmals Zutritt zum „Igel“. Es ist Teil des Recherche- und Performanceprojekts „Maximum Service" von Jeremy Wade. Also gerne mal wieder ansetzen zum Sprung über die Elbe!
Birgit Schmalmack vom 7.8.13




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Sophie Hunger