Streit ums Erbe

Nachtland, Schaubühne © Gianmarco Bresadola



Das kommt in den besten Familien vor. Der Vater ist tot, die Geschwister treffen sich um das Haus aufzulösen und der Streit ums Erbe beginnt. Das geht schon mit der richtigen Wortwahl für die Situation los: hat der Sohn (Moritz Gottwald) das Recht, Gefühle für seinen Vater zu empfinden, jetzt wo es ihm keine Verpflichtung mehr kostet. Die windeln hat nämlich die Tochter (Genija Rykova) gewechselt, die ihn bis zum Schluss gepflegt hat und nun den Erstanspruch auf ihren Vater anmeldet. Zum Glück scheint da zunächst nicht viel zu verteilen zu sein. Lauter Müll und Schrott. Doch dann entdeckt man auf dem Dachboden ein Bild, noch in Packpapier verpackt. Ein naturalistisches kitschiges Aquarell einer Kirche, unterzeichnet mit A. Hiller. Schnell sieht man anstatt des ersten "l" ein "t" ein. In der braunen Zottelhölle dieser Familie sitzt praktischerweise gleich eine Frau Doktor (Julia Schubert), passenderweise mit Vornamen "Eva", und kann mit profunder, durch Generationen weitergegebener Expertise das gewünschte Gutachten herstellen, das einen potenziellen Käufer (Damir Avdic) ins Haus bringt. Plötzlich locken das Geld, die Grundlage für ein Haus, für die Gründung einer neuen Familie, das große Geschäft. Dumm nur, dass da ein Familienmitglied so penetrant stört und nervt. Philipps Ehefrau (Jenny König) ist nicht nur Vegetarierin sondern auch Jüdin und nimmt dieses vermeintliche Hitlerbild-Erbe allzu persönlich, wie der Familienrat schnell beschließt. Sie redet von Schuld, Täterkult, Rassismus und Nazierbe. Das stört beim Geschäftemachen.

Marius von Mayenburg lässt in seiner Komödie über den politisch korrekten Umgang mit dem Erbe der deutsch-jüdischen Vergangenheit keinen Fettnapf aus, ganz im Gegenteil, er nimmt Anlauf, springt in jeden hinein und suhlt sich mit Lust in diesem braunen Unrat, der wie die Fusseln des Teppichs an dieser Familie klebt. Wenn er dann als Regisseur seines eigenen Textes auch noch süßlichen Heimat-Liedkitsch wie den dunkelbraunen klebrigen Pflaumenmus aus den Einweckgläsern des Vaters über diese nette deutsche Familie kippt, wird es nur umso unappetitlicher. Die Botschaft ist klar, und zwar überdeutlich. Doch wo ein feines Gespür für zartere Untertöne noch effektvoller gewesen wäre, haut er lieber im wahrsten Sinne auf die K.... Dabei zeugen die intellektuellen Wortgefechte über weite Strecken von Sprachvermögen auf höchsten Niveau und von der großen Lust an dialektischen Diskursen, die durchaus den Kern der deutschen Seele zu treffen vermögen. Die Überdrehung ins Klamaukige schmälert diese Vergnügen aber eher, als das es es unterstützt.

Birgit Schmalmack vom 20.10.23