Stachelige Wirklichkeit
Die Villa im Grünen vor den Toren Berlins soll es richten. Mit der Hilfe dieser perfekten Immobilie soll das Familienprojekt endlich in die richtige Bahn gelenkt werden. So sieht es jedenfalls Marie, die erfolgreiche Architektin. Doch ihr Ehemann Gerhart träumt nicht von einem internationalen Co-Working-Space und Urban Gardening Projekt direkt am See mit S-Bahnanschluss sondern von der Vollendung seines großen Werkes. Bisher ist er zwar noch nicht über die Titelgebung seiner Doktorarbeit hinausgekommen, doch er hält sie für so bedeutend, dass er sich dafür absolute Ruhe erbittet. Dass sich seine Frau weder das Thema noch den Titel merken kann, mag auch daran liegen, dass letzterer eine ganze Druckseite einnehmen würde und ihm selbst der Fokus immer wieder abhanden zu kommen droht. So viel wird aber klar: Es geht um tiersoziologische Überlegungen, bei denen das Verhalten spezieller Vogelarten als Vorbild für eine menschliche kooperative Gesellschaftsform dienen könnte. Während seine Frau diese Gemeinschaften vor Ort umsetzen möchte, will er sie aus möglichst weiter Entfernung in der Tierwelt beobachten. So fragt man sich als Zuschauende schon gleich bei der Eingangsszene, was diese beiden Menschen überhaupt verbinden könnte und sieht das Familienprojekt unter keinem guten Stern.
Die Beiden bleiben unter dem schwebenden Kakteenwald, der umgedreht von der Decke hängt, nicht lange alleine. Der Jugendfreund Bölsche, Magarethe, die erste Co-Working-Bewohnerin und Sebastians Mutter stoßen dazu, was ihre Beziehungsentwicklung nicht einfacher macht.
Autorin Felicia Zeller hat Gerhard Hauptmanns Textvorlage geschickt überschrieben und in heutige Verhältnisse transferiert. Die Ehefrau ist bei ihr kein verhuschtes, unselbstständiges Etwas mehr. Hier ist sie eine erfolgreiche Architektin, die eigentlich sofort nach der Geburt wieder zur Arbeit zurückkehren will und dennoch in der Baby-Falle landet. Denn ihr Ehemann erfüllt seine wortreichen Versprechungen, ein engagierter Vater zu sein, nicht ganz. Wenn es ans Windelwechseln gehen soll, hat er gerade keine Zeit. Gut dass er seine Mutter herbei beordert hat. Für sie ist es gar kein Problem einzuspringen und alle Aufgaben pflichtbewusst und still zu erledigen. Schließlich hat sie Zeit ihres Lebens nichts anderes gemacht.
Die junge Magarete dagegen ist eine dieser modernen emanzipierten globalen Nomaden, die eigentlich zum Leben nur einen Wlan Anschluss brauchen und sich an jedem neuen Ort nur das besorgen, was sie gerade gebrauchen können, und dann wieder verschwinden. So stehen hier drei unterschiedliche Frauentypen nebeneinander, alle von heute und alle ebenso gefangen von den Umständen wie einst. Doch auch die Männer kommen nicht besser weg. Auch sie erreichen nicht das, was ihnen vorschwebt. Immer gibt es äußere Umstände, die sie am Fortkommen hindern. Obwohl sie es vielleicht selber sind. So tragen hier alle ihr eigenes Gefängnis mit sich herum. Und können sich folglich auch auf keine tiefergehenden Beziehungen einlassen, denn sie kreisen nur sich selbst. Was vielleicht in der Vogelwelt gelingen könnte, das ist den Menschen anscheinend verwehrt. Die Freiheit, von der sie träumen, gibt es nicht. Sie bleiben einsame Menschen und scheitern an der Verbindung untereinander.
Regisseurin Bettina Bruinier bringt den sprachmächtigen, bissigen Text in prägnanten, schnellen Szenen auf den Punkt. Geschickt hält sie mit ihrem exzellenten Ensemble (Sina Martens, Nina Bruns, Corinna Kirchhoff, Gerrit Jansen, Oliver Kraushaar) die Balance zwischen Witz und Abgrund und die Komödie rutscht immer wieder ins Tragische ab.
Birgit Schmalmack vom 2.4.24
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