Alles für den Idioten an der Spitze
Ein weiterer Tag, an dem die sieben Frauen den A.... ihres Chefs retten müssen, steht bevor. Denn er hat wieder einmal durch eine unachtsame Äußerung den Ton vorgegeben. Die Verspätung seiner Frau bei einer Sitzung hat er als hinterfotzig bezeichnet. Dabei war sie längst da, saß nur als einzige. Der Grund dafür: Der Präsident hat einen Abszess am Allerwertesten und kann nicht mehr sitzen. Er selbst wird übrigens an diesem Abend der Schattenpräsidentinnen im Schauspielhaus nicht auftauchen. Nur einmal werden seine Füße zu sehen sein. Denn dieser Abend widmet sich ganz den unermüdlichen Tun der sieben Frauen (Sandra Gerling, Josefine Israel, Angelika Richter, Linn Reusse, Bettina Stucky, Amal Keller, Sachiko Hara), die versuchen den Idioten an der Spitze am Leben zu erhalten, wie der Untertitel des Stückes von Selina Fillinger verrät. Ähnlichkeiten mit lebenden Vorbildern des am Broadway gefeierten Stückes sind natürlich nicht zufällig.
Die Frauen ackern wie auf Speed. Die Pillen dazu sind in riesigen Plastiktüten stets verfügbar. Niemand von ihnen stellt je die Sinnfrage, alle sind in ihrem Hamsterrädchen gefangen. Jede will nur ihren eigenen Job und den des Präsidenten retten. Sein Untergang ist direkt mit ihrem verknüpft, so scheint es ihnen. Wenn eine von ihnen erwähnt: Du solltest die Präsidentin sein, dann ist das nur ein Witz. Ernsthaft zieht diese Möglichkeit keine von ihnen in Betracht. Keine hinterfragt je die Stellung dieses Mannes an der Spitze. Obwohl er sich immer wieder als komplett unfähig erweist und die Frauen vor die Aufgabe stellt, einen seiner vielen Fauxpas erklären zu müssen. Denn eine der sieben Frauen ist von der Presse. Die Feindin hört mit. Doch als sie glaubt, den Präsidenten mit einer Sufragettenstatue erschlagen zu haben, muss sie die Seiten wechseln, um ihren "Mord" zu vertuschen. Nun wird also von allen eifrig an einer neuen Story gebastelt, wie das vermeintliche Ableben des Präsidenten zu erklären sei, ohne dass die Wahrheit ans Licht kommt. Ich lüge nicht, meint die Pressesprecherin. Nein, alle sieben Frauen verdrehen nur so lange die Wahrheit, bis sie für die auf Aufregerstories versessene Öffentlichkeit akzeptabel wird und diese nicht auf die Idee kommt, am Status quo der Machtverteilung etwas ändern zu wollen.
Fillingers Farce wirft ein bitterböses Licht auf alle an dem Spiel der Demokratie beteiligten Personen. Nicht nur auf den Mann an der Spitze, die Frauen, die ihn dort halten, die Presse, die nach Stories giert, sondern auch auf das Wahlvolk, das sich so leicht hinters Licht führen lässt. So demontiert sie nicht nur die Figur des Präsidenten sondern auch alle, die ihn möglich machen. Beileibe kommt hier also keine feministische Alternative zum Ausdruck, sondern eher das Gegenteil: Diese Frauen ordnen sich unhinterfragt einer männlich dominierten Hierarchie unter und stellen ihre Fähigkeiten bedenkenlos seinen unlauteren Zielen zur Verfügung. Ohne Zwang, scheinbar ganz freiwillig.
Regisseurin Claudia Bauer nimmt nun diese Broadwaykomödie und überdreht sie für das Schauspielhaus so stark, dass sie sich über jede tatsächliche Realität erhebt und damit für ein deutsches Staatstheater spielbar wird. Während am Broadway die amerikanische Flagge im Oval-Office stand und die Pressekonferenzen tatsächlich am Stehpult unter dem Emblem des Weißen Hauses stattfanden, finden hier die Geschehnisse zur Hälfte auf dem Damenklo und zur anderen vor einer langen Reihe von auf- und zuschlagenden Türen auf einem Flur statt. Bauer spult diese Groteske in einem perfekten Timing einer sich stetig steigernden Hysterie ab, in der keine Zeit zur Hinterfragung des eigenen Tuns bleibt. Frauen, die besseren Menschen? Keineswegs, auch sie lassen sich genauso korrumpieren wie alle anderen. Am Schluss geht das Neonlicht auf der Bühne an. Die Show hat ein Ende und alle setzen sich erschöpft und desillusioniert auf den Rand der Bühne. Es ist der einzige ruhige Moment an diesem Abend. Erst jetzt halten sie inne, denn sie wissen: All ihre Anstrengungen waren umsonst. Der Präsident ist von den Toten auferstanden, alles wird so weitergehen wie bisher. Keine von ihnen wird die Chance ergreifen, das Ruder zu übernehmen. Und ehrlich gesagt: Könnte man nach diesem Abend die Hoffnung haben, dass das Ergebnis besser wäre, wenn eine Präsidentin an der Spitze stehen würde? Wohl kaum. Auch sie würde sich ebenso einspannen lassen in das perfekt schnurrende System der Vortäuschung von Kontrolle und Gestaltungsspielraum der großen Politik.
So ist dieser desillusionierende Abend vor allem eines: Ein großer Spaß, dem aufgedrehten Spiel der absolut überragenden Schauspielerinnen auf der Bühne zuzusehen. In den irrwitzig aufgepumpten Kostümen und aufgetürmten Frisuren beherrschen sie allesamt ihr Comedyfach in höchster Perfektion. Bauer kombiniert das mit einer gekonnten Allegorie auf tatsächliche Verhältnisse und damit einer Portion nicht ganz neuer Erkenntnisse, zu was eine vorgebliche Demokratie verkommen kann. In Deutschland mag man zum Schluss aus dem Theater gehen und denken, dass es hier nicht ganz so schlimm bestellt sei, doch wer kann sich da ganz so sicher sein?
Birgit Schmalmack vom 18.4.24