Blind runner, Thalia
Blind runner
Lessingtage
Wenn das Reden zum Versteckspiel wird
Einmal in der Woche darf der Mann seine Ehefrau in der Haftanstalt besuchen. Sie wurde aufgrund eines Posts verhaftet und sitzt nun in einem iranischen Gefängnis. In einer Kabine mit einer Glaswand zwischen ihnen unterhalten sie sich zunächst über etwas vermeintlich so Unverfängliches wie Spinnennetze und Ameisen. Denn tiefschürfende Gespräche scheinen unmöglich; werden sie doch die ganze Zeit überwacht. So werden die Besuche bald zu einem Spiegelbild all dessen, was sie nicht sagen können.
Beide haben sich beim Lauftraining kennen gelernt. Auch nach ihrer Verhaftung trainierten sie weiter. Er vor den Toren des Gefängnisses, hinter auf den Fluren dahinter. Wenig später überredet die Frau ihrem Mann, mit einer blinden Frau ein Lauftraining für einen Marathon in Paris zu absolvieren. Will sie, dass er mit dieser Frau statt ihrer ihr Vorhaben, durch das Laufen die Freiheit zu finden, umsetzt? Auch darüber können sie nicht reden.
Der Regisseur dieser vielschichtigen Theaterabends Amir Reza Koohestani verknüpft beziehungsreich viele verschiedene Ebenen. Er verhandelt dabei minimalistisch und dennoch intensiv die Unmöglichkeit eines Paares miteinander wahrhaft zu kommunizieren. Wenn sie an Punkte kommen, an denen Wahrheit gefragt ist, weichen sie aus: ins Schweigen, ins Anklagen, in Vorwürfe, in Beschönigungen. So ist dieses Versteckspiel zwischen Mann und Frau ist sicher auch ein Sinnbild für das Versteckspiel, das im Iran zum Alltag gehört.
Koohestani hat hier ein präzises und poetisches Theaterstück erschaffen, in dem die beiden Protagonisten zu keiner offenen Kommunikation finden. Sie stehen oder laufen auf der Bühne nebeneinander und schauen sich selten an. Kameraaufnahmen, die auf die Rückwand projiziert werden fügen sich genau in die Frontalansichten der Beiden live auf der leeren Bühne. Bewundernswert, mit wie wenig Mitteln, klug eingesetzt, eine kraftvolle und aufwühlende Geschichte erzählt werden kann. Intelligente Dialoge fügen sich mit minimalen Bühnenmitteln zu einer eindrucksvollen Geschichte, die Schlaglichter auf das Thema Unterdrückung, Widerstand und Flucht wirft.
Birgit Schmalmack vom 1.2.25
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