Lieder für eine bessere Welt, Tonali
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Daniel Kahn
Tonali-Saal
Ein an Zwischentönen reicher Abend
Der Musiker, Autor, Schauspieler, Regisseur und Übersetzer Daniel Kahn kennt sich bestens aus im dem Land der Zwischentöne. Das liegt auch daran, dass er als geborener Amerikaner mit jüdischen Wurzeln seit 20 Jahren in Berlin lebt und neben Englisch auch Deutsch und Jiddisch beherrscht. Er schafft es an seinen Instrumenten spielend vermeintliche Grenzen zu überschreiten. Die zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die zwischen Trauer und Humor, die zwischen Ernst und Unterhaltung liegen. Mit seinem Akkordeon, der Mundharmonika, der Gitarre und dem Klavier nimmt er das Publikum mit auf eine Reise, die durch alle Emotionszustände hindurchführt. Ob er nun Lieder von Leonard Cohen ins Jiddische überträgt, in einem Drei-Minuten-Musical durch die jüdische Geschichte springt oder den Georg Kreisler Song „Ich fühl mich nicht zu Hause“ interpretiert.
Exil ist ein immer wieder kehrendes Thema in den Liedern, die Kahn für diesen Abend im Tonali-Saal, der vom Jüdischen Salon veranstaltet wurde, ausgewählt hat. Meine Vaterländer von Kadya Molodowsky spricht von dem oft vergeblichen Versuch des Ankommens. Manchmal bleibe nur die innere Emigration als Möglichkeit, die eigene Identität nicht zu verraten. Auch ein Gebet hat Kahn in sein Programm mit aufgenommen. Es wurde nach dem Progrom 1915 als Gebet für verflossenes Blut geschrieben worden. Kahn singt es ganz ohne instrumentale Begleitung und unterstreicht damit seine Wirkung. „Alte Sachen“, kommentiert er anschließend lakonisch.
Zwischendurch erzählt er von einer deutschsprachigen Online-Zeitung, die in Israel erscheint. Sie hätte die ganzen Jahre über immer einen Leser aus dem Gazastreifen gehabt. Doch seit kurzem gäbe es keinen Abruf mehr aus diesem Gebiet. Es sind auch diese kleinen Randbemerkungen, die den Abend mit Kahn zu einem machen, der weit über den deutschen Tellerrand hinausblickt. Kahn lässt die besondere deutsche Verantwortung an dem Schicksal des immerwährenden Exils der Juden mitschwingen, löst sie aber von der in Deutschland üblichen verkrampften Fokussierung und stellt sie in einen größeren Zusammenhang. Mit diesem besonderen Gespür für die Zwischen- und Grautöne ist er ein emotionaler Brückenbauer, der mit seinen Liedern Grenzen durchlässig macht, Verbindungen schafft und jede einfache Zuschreibung unmöglich werden lässt. So durchmessen seine Lieder alle Schattierungen des Menschseins, des Abgründigen, des Melancholischen, des Sehnsüchtigen, des Hoffungsvollen und des Zuversichtlichen. Ein reicher Abend, in jeder Hinsicht.
Birgit Schmalmack vom 20.2.25
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