Oleanna, St. Pauli Theater

Oleanna, St. Pauli Theater
Foto: Jim Rakete
Eine Frage der Perspektive
Verstehen Sie? Das fragen sich die Beiden gegenseitg immer wieder. Am Schluss ist es eher eine Aufforderung als eine Frage. Der Herr Professor soll endlich verstehen, warum es der Gruppe geht. Doch der alte weiße Mann, der er nun einmal ist, tut sich wirklich schwer, zu begreifen, worin sein Fehlverhalten bestanden hat. Zu lange hat er sich schon in der Rolle des Dozierenden gesehen, gewöhnt daran, dass seine Studenten, wie er sie immer noch nennt, ihm lauschen. Als Coral in seine Sprechstunde kommt um ihre Note zu erfahren, zerreißt er ihr Referat und bietet ihr Privatunterricht an. Er umgibt sich mit dem Nimbus eines zugewandten, großzügigen Lehrers. Er gibt ihr Einblicke in seine Kindheit und fühlt sich dabei sichtlich wohl. Er versichert ihr immer wieder, dass er sie verstehen würde. Sie schüttelt nur ungläubig mit dem Kopf. Denn für ihn ist die Bildung nur ein Glaubensritual ohne jede Nützlichkeit. Doch für Carol die sich aus einer bildungsfernen Umgebung hierher an diese Uni gekämpft hat, muss sich das wie eine Verhöhnung ihrer Ziele anhören. Sie stammelt nur immer wieder, sie verstehe nichts und bricht schließlich in Tränen aus.
In der nächsten Szene steht eine völlig gewandelte Frau in seinem Büro. Den Kopf erhoben, mit fester Stimme konfrontiert sie ihn mit ihrem Vorwurf des Machtmissbrauchs. Sie habe mit der Gruppe, für die sie spreche, Beschwerde gegen ihn eingelegt. Er weiß sofort, das kann ihn seine Stelle als Professor auf Lebenszeit kosten. Er versteht die Welt nicht mehr. Er wollte ihr nur helfen und jetzt dreht sie den Spieß um. Auf einmal ist er auf ihr Wohlwollen angewiesen. Das kennt er nicht. Als er um ein weiteres Gespräch bittet, versucht er wieder seine altbewährten Methoden anzuwenden. Ein bisschen Schmeicheln, ein wenig Vertrauen heischende Offenheit. Doch seine Taktik kann Carol nicht umstimmen. Sie habe sich beraten lassen, sie durch schaue ihn. Er mache sich nur lustig über seine Studierenden, in Wirklichkeit spiele er nur seine Machtposition aus, noch gepaart mit einem unterlegten Hauch selbstkritische Distanz zur eigenen Position. Er stehe schließlich für Gedankenfreiheit. Doch Carols Sicht auf sein Verhalten ihr gegenüber fällt für ihn nicht darunter. Da habe sie etwas grundsätzlich falsch verstanden. Doch Carol weiß mittlerweile, wie sie ihm auf Augenhöhe begegnen kann. Sie schlägt ihn mit seinen eigenen Mitteln. Jetzt hat sie die Machtposition inne. Denn am Ende ihres letzten Besuchs hat er sie versucht, sie am Weggehen zu hindern und dabei in die Sofaecke gedrängt. Nun droht ihm sogar eine Anklage wegen versuchter Vergewaltigung.
Sven-Eric Bechtolf hat diese Rolle schon einmal vor dreißig Jahren im Thalia Theater übernommen. Das Stück wirkt in keinster Weise angejahrt, ganz im Gegenteil, nach einer Engagierten Me-Too-Debatte kann man sich noch besser in beide Positionen hineinversetzen. Die junge Berliner Schauspielerin Johanna Asch ist Bechtholf ein Gegenüber, das zuerst schüchtern Hände knetend auftritt, aber dann nach der Beratung durch ihre Gruppe, gestärkt und selbstbewusst dem Professor mit geschärften Argumenten gegenüber zu treten weiß.
Dieses Kammerspiel der wechselseitigen Machtausübung wird in der Inszenierung von Ullrich Waller am St. Pauli Theater zu einem spannenden Wechselspiel der Gefühle. Man ist hin- und hergerissen zwischen den Sichtweisen der beiden Protagonisten. Man versetzt sich ganz in die Rolle des Mannes und gleich danach folgt man ebenso überzeugt der Ansicht der Frau. Die besondere Kunst des klug geschriebenen Stücks von David Mamet besteht darin, dass er es den Zuschauer:innen überlässt, die eigene Position zu finden und Waller folgt ihm darin ganz konsequent.
Birgit Schmalmack vom 20.3.25
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