Dengbej in the Disco, Lichthof

Dengbej in the Disco, Lichthof
ŠAlan Ciwan
Ein Dengbej erklärt niemals
Ein Teppich hängt von der Decke. Zunächst sind so nur die Füße der beiden Performerinnen zu sehen. Und ihre Stimmen zu hören. Traditionelle kurdische Lieder erklingen, wunderschön interpretiert von den beiden noch unsichtbaren Frauen. Mit diesem Teppich haben sie im Laufe des Abends noch viel vor. Er wird zum zentralen Mittel ihrer Performance. Diejenigen, die im Publikum Kurdisch verstehen, sind klar im Vorteil. Sie können sich an all den kleinen Unterhaltungen, die sich im Folgenden zwischen der Sängerin Hêja Netirk und der Tänzerin Sarina Panahideh entwickeln, erfreuen und auch die Inhalte der Lieder verstehen. Alle anderen sind rein auf ihre Intuition, auf ihr Erfühlen der Stimmung angewiesen und müssen mit einem Gefühl des Nicht-Verstehens leben. So wie die Frauen auf der Bühne selbst. Denn sie befinden sich im Exil. Auch sie sind immer wieder mit einem Gefühl des Ausgeschlossenseins, der Fremdheit und des Nicht-Verstehens konfrontiert. Ob nun im Gespräch mit den zuständigen Beamten in der Ausländerbehörde oder beim Jobcenter. Statt eines Engagements auf einer deutschen Bühne wird ihnen ein Job als Putzfrau angeboten. So verzichten sie auch jetzt hier im Lichthof auf eine Untertitelung der überwiegend auf Kurdisch gehaltenen Performance. Ein paar wenig englische Sätze und ein paar auf Deutsch wiedergegebene Passagen ermöglichen aber dennoch einen Zugang. Und der Teppich wird nicht nur gewaschen, sondern später auch zu einer Projektionsfläche für einige Sätze des Inhalts auf Englisch. „Do you want to understand? My situation. If I tell you I will turn into an explanation. But a Dengbêj never explains.” „Deng“ bedeutet „Klang“ und „bêj“ bedeutet „erzählen“ auf Kurdisch. Ein Dengbej ist jemand, der singend Geschichten erzählt. Üblicherweise ist es ein Mann. Wenn hier zwei Frauen diese Rolle übernehmen und sich dann auch noch im späteren Verlauf der Performance direkt in die Disco beamen und sich dort selbstbewusst in all ihrer Weiblichkeit präsentieren, bekommt das eine emanzipierende, die Tradition erweiternde Komponente.
Dieser Abend hat sehr viele, sehr stille Elemente, die dem Publikum Gelegenheit geben, sich ganz in die kurdischen Lieder einzufühlen. Aber in ihn mischen sich auch laute, mitreißende Szenen, die zu wummernden Beats in andere Gefühlswelten einladen. Sie nehmen das Publikum unabhängig von Sprachgrenzen mit auf die Bühne. Ganz ausdrücklich: Denn zum Schluss werden alle zum Mittanzen auf die Bühne eingeladen. Der Abend geht als Disco zu flackerndem Partylicht zu Ende. So ist es ein vielschichtiger Abend geworden, der geschickt durch viele Erlebnisebenen führt. Zuerst das Erleben von der unverständlichen Schönheit der Musik, das Nichtverstehen, das Beobachten, das Anknüpfen, das Erhalten von ein paar eingestreuten Erklärungen und zum Schluss das Mitmachen Dürfen. So ist hier etwas Geduld für alle gefragt, die kein Kurdisch verstehen, aber es lohnt sich: Am Ende erschließt sich der Inhalt - wenn er auch für jeden im Publikum etwas anders aussehen dürfte.
Birgit Schmalmack vom 7.3.25
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