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Ubu, Thalia

Ubu, Thalia

Foto: Armin Smailovic

Ein mörderisches Spiel

Ein schwarzer Kasten steht auf der schwarzen leeren Bühne. Über ihm drei Videoscreens. Durch sie blickt man ins Innere des Kastens, der eine strahlend weiße Ausstattung zeigt, die aber nicht lange so clean bleiben wird. Denn in ihm wüten zwei Figuren, die nicht nur in der Wortwahl einen ziemlich unflätigen Umgang pflegen, sondern auch mit realem (hier natürlich künstlichem) Unrat um sich werfen. Denn die Beiden schrecken vor nichts zurück, zumindest nachdem Mutter Ubu ihren Gatten davon überzeugt hat, dass er sich endlich als richtiger Mann erweisen und den König beseitigen solle, um selbst an die Macht zu kommen. Man fühlt sich an Lady Macbeth erinnert. Genau wie bei Shakespeare lässt sich Vater Ubu schnell überreden und schon sind die Beiden in ihr mörderisches Spiel verstrickt.

Denn wie ein Kinderspiel inszeniert Regisseur John SimonAlfred Jarrys Groteske „Ubu“ hier am Thalia Theater. Mit Puppen, Kunstkacke, Blut und Sägen spielen die Beiden hier ihre Machtambitionen aus und steigern sich in ihre Vernichtungsfantasien hinein. Sie werden alles zerstören, bis nur noch sie selbst übrig sind. Auch die Kunst, die Literatur, die Rechte und die Freiheiten werden in Mülltüten gestopft und abwärts in den Gulli geworfen.

Simons hat diesen ersten Teil von „Ubu Roi“ mit den zwei weiteren „Ubu Enchaine“ und „Ubu sur la Butte“ kombiniert. Dazu treten die Ubus nach ihren ersten Exzessen vor ihre weiße Laborkammer und begegnen drei Menschen (Pascal Houdus, Thomas Loibl, Lisa-Maria Sommerfeld), die sich im Wald verirrt haben. Die sind wechselseitig verängstigt, fasziniert, irritiert oder vor Schreck erstarrt. Einerseits wollen sie schnell weg, andererseits scheinen sie wie magisch angezogen von diesem absonderlichen Paar. Was sie selbst umtreibt, scheint ihnen auch selbst nicht ganz klar zu sein. Suchen sie die Liebe, das Abenteuer oder die Freiheit? Lassen sie sich von dem Angebot der Ubus, ihnen ganz untertan zu sein, nur allzu gerne verführen, um dann doch festzustellen, dass sie gefährlichen Demagogen auf den Leim gegangen sind?

Im letzten Teil setzen sich die Ubus zu den Drei an eine lange Tafel. Sie haben sich als amerikanische Touristen getarnt und stellen allerlei scheinbar harmlose Fragen. Erst als Mutter Ubu ihre Lederjacke abstreift, wird ihre wahre Identität klar, doch da ist es schon zu spät. Längst haben die Drei das angebotene Corned Beef aus der Dose gegessen und das Gift beginnt zu wirken.

Simons hat die Allegorie auf die Machtgier von Demagogen, die rücksichtslos gegen ihre Untertanen vorgehen und dennoch nicht aufgehalten werden, fast unpolitisch in Szene gesetzt. Ohne klare Anspielungen auf heutige Parallelen lässt er sein Ensemble ihre Spielchen treiben. Sie bleiben diffus, so wie die Videoscreenbilder über dem schwarzen Kasten. Das Tun der Ubus wird nur medial verbreitet, und dann auch noch aus merkwürdigen Perspektiven, die nie das ganze Bild ergeben. So mag man sich mit dem Vagen beruhigen, sich den Live-Aufzeichnungen der krassen Gewalt als Konstruktion verschließen. So schlimm kann doch alles nicht werden, mögen auch die Drei noch denken. Sie lassen sich einlullen. Sie glauben weiterhin an die Liebe, die Freiheit und werden doch von ihrem machthungrigen Gegenüber nur an der Nase herumgeführt und schließlich dem Bären zum Fraß vorgeworfen. Sollte damit der russische Bär gemeint sein?

So wird das scheinbar im privaten Kämmerlein zelebrierte doch noch politisch. Man sollte auf der Hut sein. Das macht Simons auf groteske, drastische Weise klar. Mit Jens Harzer als Mutter Ubu und Marina Galic als ihr Gatte hat er zwei grandiose Schauspieler für diese Kabinettstückchen gefunden, denen man die Fäkalienspiele fast verzeiht, weil ihr Schauspielerhandwerk sie vor dem totalen Abrutschen ins Groteske bewahrt. Dennoch ist das ein Abend, der einiges an inhaltlicher und ästhetischer Flexibilität erfordert. Viele Rätsel werden auch am Ende des Abends ungelöst bleiben. Wer eine Eins-zu-Eins-Übertragung der absurden Wirklichkeit auf die Theaterbühne erwartet hatte, die sich zurzeit allzu leicht angeboten hätte, wird von diesem Abend enttäuscht werden. Einfache Botschaften gibt es nicht. Aber eine eventuell doch: Machen wir es den Machtgierigen nicht zu einfach, indem wir uns einlullen lassen von dem Glauben, dass schon alles nicht so schlimm werden wird. Mit Jarry kann man nur feststellen: Es wird noch viel schlimmer werden.

Birgit Schmalmack vom 4.3.25

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