Arme Arme Reiche Reiche, Lichthof
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Arme Arme Reiche Reiche, Lichthof
© Isabel Machado Rios
Unterschiedliche Lebensrealitäten
Man sollte meinen, dass Geld glücklicher und zufriedener macht. Doch auch Reiche haben ihre Probleme. Das zeigen die Interviews, die Dagrun Hintze für ihr Stück Reiche Reiche im Lichthof führte. Dazu sprach sie mit zahlreichen Hamburger Reichen, die von ihrem Umgang mit dem Geld und den Folgen für ihr Leben berichten. Diese Stimmen kommen vom Soundtrack aus dem Off, während sich auf der leeren Bühne inmitten der vier Tribünenreihen anderes abspielt. Hier zelebrieren die drei Performer:innen (Raha Emami Khansari, Madeleine Lauw, Marco Merenda ) ein Bewegungsrepertoire, das von zeremoniellen gesellschaftlichen Anlässen spricht. Mal scheinen sie ein Menuett zu tanzen, mal einen imaginären Walzer zu performen, mal wie dressierte Pferdchen im Kreis zu laufen. Stets aneinander vorbei, immer auf Etikette und Haltung bedacht. Kein Lächeln, keine Interaktion, keine Unaufmerksamkeit ist hier erlaubt. Ein Leben unter strengem Reglement des guten Geschmacks, des Anstands, der Reserviertheit und des Understatements scheint hier das Ziel zu sein. Wie das eben in Hamburg so üblich sein soll.
Davon berichtet auch der Reichtumsforscher Rudolf Martin (Moné Sharifi) in den eingespielten Videosequenzen, die an verschiedenen Stellen in Hamburg aufgenommen worden sind. Ab dem Jahre 1911 arbeitete er an seiner Reihe der Jahrbücher des Vermögens und Einkommens der Millionäre. Da beschwerte sich schon einmal einer der Reichen, das er unterhalb seines Nachbarns an der Elbchaussee stehen würde, obwohl er doch wohlhabender sei. Zum Beweis trudelten wenig später die geforderten Belege über die Vermögensverhältnisse per Post ein.
Doch die Stimmen aus dem Off zeugen von anderen Schwierigkeiten. Hier erinnern sich Menschen daran, wie schwer es in der Jugend war, Freunde zu finden. Entweder verbarg man den Reichtum seines Elternhauses und wurde dann als unehrlich angesehen oder man lebte ständig in Gefahr, nur aufgrund seines Geldes zum Freund auserkoren worden zu sein. Auch die Verpflichtung ständig anderen Geld leihen zu müssen, weil man es konnte, strengte an und belastete Freundschaften. Die Verantwortung, dem Vermögen oder dem Firmenkapital durch das eigene Tun gerecht zu werden, spürten viele durchaus als Belastung. Die Partnerwahl gestaltete sich ebenfalls schwierig. Nicht nur das Elternhaus verlangte einen Partner aus dem gleichen Stand, sondern auch die eigenen Erfahrungen bewiesen, dass ein ärmerer Partner häufig dem Gleichberechtigungsgedanken im Wege stand. Geld ist nicht nur einfach da, sondern will umsorgt sein, damit es bleibt. Und: Wer in der Jugend nicht gelernt hat, mit Geld umzugehen, kann auch später kaum noch sparsam leben, falls es mal ausbleiben sollte. Hintze gibt durch ihren Text interessante Einblicke. Durch die sehr reduzierte Form des Geschehens auf der Bühne konnte man sich ihnen voll und ganz widmen.
Ganz anderer Bühnenmittel bediente sich der zweite Teil von Sean Keller. Hier kam alles zum Einsatz, was das Theater so hergibt. Die selben drei Performer:innen konnten nun ihre zahlreichen weiteren Talente unter Beweis stellen, neben ihrem tänzerischen Können für den ersten Teil. Jede:r von ihnen war dabei für einen anderen Part zuständig. Die eine für einen Gerichtsprozess gegen einen Obdachlosen im Stile eines Kasperltheaters, die andere für ein Showformat namens "Selbst schuld", in dem Arme einem TV-Publikum zur allgemeinen Belustigung vorgeworfen wurden und der dritte für ein Fitnessprogramm für Arme, damit sie endlich konkurrenzfähig werden können. Im beständigen Wechsel lösen sich die drei Performer:innen in der Mitte für die einzelnen Szenen ab. Überzeichnung, Parodie und Zuspitzung eingeschlossen. Die Botschaft war in allen Fällen klar: Arme werden in dieser Gesellschaft gebraucht, damit die Wirtschaft weiter läuft. Daher dienen alle vermeintlichen Auffangs-, Aufklärungs- und Fitnessprogramme nur einer Illusion, und zwar der, dass jeder es schaffen könne.
Dieser Abend widmet sich in aller Ausführlichkeit dem Thema Ungleichheit in der Vermögensverteilung und beleuchtet dies aus zwei verschiedenen Perspektiven. Zwei gesellschaftliche Blasen, die kaum Berührungspunkte haben. Die Reichen bewegen sich in ihrem Kosmos, die Armen in ihrer Realität. Die Durchlässigkeit darf bezweifelt werden, wenn die Artikulationsformen so unterschiedlich sind. Auch deswegen dürfte sich das Regieteam für die Inszenierung der beiden Texte so unterschiedlicher Mittel bedient haben. Kasperl-Theater, Muckibude und Hartz-V-TV auf der einen und gesellschaftliches Hofgebaren auf der anderen Seite, da scheint die Verständigung und das Verständnis fast unmöglich. Auch dies ein interessanter Aspekt an diesem Abend, für den Regisseur Henri Hüster und Choreographin Vasna Aguilar innovative Ansätze der Inszenierung gefunden haben.
Birgit Schmalmack vom 4.2.25
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