Jungle Book, reimagined, Thalia
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Jungle Book reimagined
Foto: Camila Greenwell
Berührende Comic-Choreographie
Es regnet, es stürmt. Wassermassen stürzen in Schwarz-Weiß-Zeichnungen über die Bühne. Mit Flößen versuchen sich die Menschen vor der Sintflut zu retten. Auf einem der Flöße bleiben eine Mutter und eine Tochter übrig, bevor die Kleine bei der nächsten Welle ins Wasser geschwemmt wird. Doch ein Wal rettet sie und bringt sie wieder an Land. Mitten in einer verwüsteten Großstadt, die von den Menschen verlassen ist, haben jetzt die Tiere die Herrschaft übernommen. Als das Mädchen in ihrer Mitte auftaucht, sind sie skeptisch. Denn sie haben gelernt: Die Menschen sind ihre Feinde, sie sind schließlich auch für diese Katastrophe verantwortlich.
Dies ist die veränderte Ausgangslage für "Jungle Book, reimagined" von Akram Khan, das im Rahmen der Lessingtage als Gastspiel im Thalia Theater zu sehen war. Ins Heute transferiert ist Mowgli ein Mädchen, das nach der Klimakatastrophe unter den Tieren Aufnahme findet. In dem Wolfsrudel wird sie zunächst bedrohlich hin- und hergeworfen, bis sie vom Rat der Tiere unter den Schutz des Bären Baloo und des schwarzen Panthers Bagheera gestellt wird. Mit ihnen zusammen meistert sie etliche gefährliche Situationen, in denen sie auch beweisen kann, dass sie keine Feindin der Tiere ist. Im Gegenteil: Sie besorgt ihnen Futter und rettet sie vor dem Jäger, der mit einem Gewehr herumballert und die Tiere wahllos erschießt.
Die Tänzerin des Mowgli schafft es in einer Mischung aus Schauspiel und Tanz, dass die Zuschauer:innen sich ganz in ihre Lage versetzen können. Ihre Angst, ihr Vertrauen, ihre Verständigungsbereitschaft, ihr Einfühlungsvermögen und ihre Einsamkeit werden nachfühlbar. In ihrer Interaktion mit den Tieren ergibt sich nach und nach eine Grundlage für ein Miteinander, ein Verstehen und eine Zusammenarbeit. Zum Schluss wollen die Tiere sie nicht wieder gehen lassen, doch sie hat eine Mission: Sie will als Botschafterin der Tiere zu den Menschen zurück. So sieht man sie zum Schluss wieder auf einem Floß alleine über die endlosen Wassermengen fahren. Ausgang ungewiss.
Der Choreograph Akram Khan verwandelt die weltbekannte Geschichte von Rudyard Kipling in ein Comic-Tanzstück. Er versucht mit seinem Ensemble eine Tanzsprache zu finden, die die Bewegungsmuster von Tieren mit denen der Menschen verbindet. Indem die Annäherung von Mowgli mit ihren tierischen Gefährten gelingt, werden ihre Tanzstile auch immer ähnlicher. Zusammen mit dem in jeder Hinsicht ausgefeilten Soundtrack, der die Stimmen der Tiere, die Dialoge mit Mowgli mit den Naturgeräuschen und der Musik verbindet, den Videoprojektionen der Umgebung und den gezeichneten Comicfiguren, die auf zwei transparente Leinwände geworfen werden, ergibt sich ein berührendes, aufwühlendes Gesamtkunstwerk, das das Publikum so beeindruckte, dass es zum Schluss in minutenlangen Standing Ovations applaudierte.
Birgit Schmalmack vom 3.2.25
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