hamburgtheater

..... Kritiken für Hamburg seit 2000

Ajax und der Schwan der Scham, Thalia

Ajax am Thalia Theater

Krafft-Angerer

Die Scham wegtanzen

Die Scham wegtanzen

Die Scham ist ein gesellschaftlicher Prozess, denn sie braucht ein Gegenüber. Zumindest eines im Kopf. Nur durch die verinnerlichten Wertmaßstäbe entsteht nach einer Tat das Gefühl der Scham, das die eigene Unsichtbarkeit als wünschenswerten Zustand erscheinen lässt. Ebenso ist es mit dem Stolz. Auch er kann erst aus Anerkennung der eigenen Leistung durch die Gesellschaft erwachsen.

Das erlebt nun Ajax in beiden Hinsichten. Einerseits war er schon immer der ewige Zweite hinter dem weltberühmten Kämpfer Achill, der jeden Ruhm erhielt, während er Ajax bisher verweigert wurde. Auch jetzt noch, als Achill tödlich getroffen zu Boden gesunken ist und er, Ajax, ihn unter Einsatz seines Lebens vom Schlachtfeld gezogen und dessen Rüstung geborgen hat; die Rüstung wird nicht ihm, sondern Odysseus (Nils Kahnwald) zugesprochen. Ajax wird von Rachegelüsten übermannt. Doch Göttin Athene verwirrt seine Sinne und er lässt seine Wut an einer unschuldigen Tierherde aus. Als er wieder zur Besinnung kommt und seinen Irrtum erkennt, überkommt ihn die Scham.

Im Original von Sophokles will Ajax sich danach ins Schwert stürzen, doch Maja Beckmann, die hier bei Christopher Rüpings Neuinterpretation am Thalia Theater den Krieger verkörpert, will sich das noch einmal gründlich überlegen. Sie hat das Gefühl, dass diese Entscheidung zum Freitod nicht ganz freiwillig, sondern von außen gesteuert daherkommt. „Ich bins nicht gewesen.“ Doch wer dann? So kann der listige Odysseus, der Ajax hinauf die Showtreppe dirigieren möchte, um sich dann von oben in den Hades zu stürzen, keinen Erfolg für den Auftrag, den er direkt von der Göttin Athene erhielt, vermelden. Doch sofort kommt ihn eine Idee: Ist das Thema hier nicht auch „Zweitbesetzung“? Was läge also näher, als auch für Ajax eine Zweitbesetzung zu engagieren, die sich dann statt seiner von der Treppe stürzen könnte?

So kommt Pauline Renevier herein, in genau dem lila Trainingsanzug, den auch Ajax trägt. Doch kaum oben auf der Treppe angekommen, fällt ihr ein, dass sie zweitbesetzungsgeschädigt ist und steigt wieder herunter. Sie ist schließlich Sarah Lane, die für Natalie Portman in Black Swan das Körperdouble war. Anschließend erhielt Portman einen Oscar für die beste Hauptdarstellerin, auch mit dem Argument, dass sie so wunderbar getanzt habe. Dafür hätte aber eigentlich Sarah Lane die Ehre gebührt. Diese Story mag Odysseus kaum glauben, also muss Lane den Beweis liefern, indem sie Szenen aus Black Swan auf der Bühne vortanzt. Auf dem riesigen Screen, der hereingeschoben wird, sieht man ihren Körper tanzen, aber mit dem Gesicht von Portman, dank der Kamerafrau, die live ein Deepfake produziert. Mit dieser Technik lässt sich natürlich hervorragend spielen, also bekommen in der Folge auch Ajax und Odysseus kurzzeitig ein Portman-Gesicht verpasst. Da verliert selbst Athene irgendwann die Geduld, schwebt als wütender Vogel aus dem Himmel herab und will dem ganzen Spiel ein Ende setzen. Ihr bleibt aber nichts Anderes übrig, als selbst die Drittbesetzung zu werden, auf die Treppe zu steigen und sich scheinbar hinunterzustürzen. Für sie bestünde eh keine Gefahr, als Göttin ist sie unsterblich. Das betont ironische Klatschen von Maja Beckmann am Ende des gut zweistündigen Abends beendet dieses Spiel um Scham, Identität, Stolz, Anerkennung und Macht.

Rüping hat aus der antiken Geschichte um Ruhm und Ehre, in der eine Rüstung (wie heutzutage der Oscar) zu einem Symbol der Anerkennung wird, ein überaus lockeres, wie improvisiert wirkendes Spiel werden lassen, das sehr unterhaltsam den Sprung vom Gestern ins Heute schafft. Mit seinem Ensemble blödelt er sich gekonnt durch die Assoziationen zu diesem Text von Sophokles. Das ist mal mehr und mal weniger stringent, aber immer kurzweilig. Er holt den Stoff aus der Abstraktions- in die Spielebene. Das ihm das gelingt, liegt auch an der starken und souveränen Leistung speziell von Maja Beckmann und Nils Kahnwald. Sie ist eine burschikose, zupackende, uneitle Frau, die im Dialog mit dem Publikum locker die Rampe überwindet. Und er mimt perfekt den überlegenen Sieger, der mit herablassender Geste so tut, als würde er Verständnis für Ajax Gefühlshaushalt entwickeln und sie dennoch nur manipulieren will. Daneben freut man sich über einen Auftritt von Hans Löw als Ajax´ Hausmann (bzw. Zeltmann) und Maike Knirsch als wütende Athene. Rüping nimmt sich diesen Stoff an Anregungsmaterial für ein theatrales Brainstorming, ohne sich von allzu viel Stringenz-Ambitionen limitieren zu lassen.

Birgit Schmalmack von 25.2.25

Zur Kritik von

nachtkritik
 
 

hamburgtheater - Kritiken für Hamburg seit 2000