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Eurotrash, Thalia

Eurotrash, Thalia

Foto: Krafft-Angerer

Die Macht des Schweigens


Mühsam quält sich die alte, abgemagerte Dame mit krummem Rücken in ihrem feinen gelben Chanelkostüm die Stufen bis zum Aussichtsturm hinauf. Doch sie ist keine, die aufgibt. Schließlich ist sie es gewöhnt, zu den Oberen der Gesellschaft zu gehören. Obwohl sie sicher schon bessere Zeiten gesehen hat, weiß sie durch ihr Auftreten sofort klarzumachen, mit wem die Menschen es hier zu tun haben. So verschafft sie sich den Respekt, den sie ihrer Meinung nach verdient. Barbara Nüsse ist die Idealbesetzung für diese selbstgewisse alte Dame, die selbst mit ihrem Rollator so durch die Gegend kurvt, als wenn es ihr früherer Mercedes wäre. Zeichen der Schwäche offenbart sie nur, wenn sie es für zweckdienlich hält. Ihrer Arroganz und ihrem Machtbewusstsein des Schweizer Geldadels schadet auch ein krummer Rücken und ein künstlicher Darmausgang nicht.
Als sie ihren Sohn Christian wieder einmal zu sich nach Zürich einbestellt, sind die Machtverhältnisse scheinbar von vornherein klar. Sie ist die anherrschende und alles beherrschende Mutter und er der unterlegene Sohn, der alles hinzunehmen hat. Bis er aus der Opferrolle in die aktive umschwenkt und sie kurzerhand mit auf eine Reise nimmt. Viel Zeit hat er schließlich nicht mehr, um einiges für sich zu klären. Und dafür braucht er seine Mutter, so lange sie noch lebt. Den Sohn treibt vor allen Dingen eines um: Wie kann seine Familie mit den Naziverbrechen einiger Mitglieder angemessen umgehen?

Richtig, ein wahrhaftiges Gespräch konnten sie bisher nicht führen. Doch auf dieser Reise wird es ein paar dieser kostbaren Moment geben. Aber auch in den fast zweieinhalb Stunden der Aufführung im Thalai in der Gaußstraße werden dieser zusammengerechnet nur auf etwa fünf Minuten kommen. Etwa wenn sie sich gegenseitig erzählen, dass sie beide etwas gemeinsam haben. Beide sind im Alter von elf Jahren missbraucht worden. Seine Mutter als Kriegsgeflüchtete in Itzehoe und er als Schüler in einem kanadischen Internat. Und wenn er sie lautstark und unerbittlich danach fragt, warum sie denn nicht ihren Vater nach dessen Obersturmbannführerschaft und Verbrechen während der Naziherrschaft befragt habe. Wie konnte die Mutter zu der Nazivergangenheit ihres Vaters Zeit ihres Lebens schweigen? Ihre lakonische Antwort: Genau so, wie wir beide die ganze Zeit geschwiegen haben.

"Wahre Vornehmheit braucht keine Gucci Tasche sondern kann ihr Geld einfach in einer Plastiktüte mit sich tragen", sagt einmal der Kellner in einem Restaurant, das beide gemeinsam auf ihrer Reise besuchen. Damit hat er die Haltung der Mutter treffend beschrieben. Während die Mutter von einem Trip in ihr geliebtes Afrika träumt, kurvt er mit ihr durch die Schweiz. Ihre gemeinsamen Erinnerungsziele muten belanglos an: Eine ökologische Kommune, das ehemalige Haus, in dem sein Vater lebte, das Haus seiner Kindheit, eine Seilbahnfahrt auf einen Gletscher, bei dem die Muter zwar kein Edelweiß, aber dafür einen Fuchs erblickt.

Die höchst intime Reise der beiden wird in Stefan Puchers Bühnenadaption des Romans von Christian Kracht zu einem Schauspielerfest für Barbara Nüsse und Jirka Zett. Sie ergeben zusammen ein skurriles Pärchen, das sich wenig schuldig bleibt. Der Abend wird zu einem intimen und intensiven Zwiegespräch über Familie, Schweigen, Traumata, mangelnde Verantwortung und Kontinuität der Macht. Ob die Mutter diese trotz oder wegen der Nazivergangenheit ihres Vaters bewahren konnte, ist am Ende keine Frage mehr, sondern letzteres zu einer Gewissheit geworden. Doch Jirka Zett macht in seinem Spiel deutlich, dass die jüngere Generation keinesfalls mutiger ist. Der Sohn leistet sich seine offensive Offenheit nur, weil sie für ihn mittlerweile mit keinerlei Risiko mehr verbunden ist. Selbst dem Streit mit seiner Mutter ist er schließlich 50 Jahre lang aus dem Weg gegangen.
Birgit Schmalmack vom 22.01.25

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