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Aber träum deinen Traum

Aber träum deinen Traum Ljodahått, Nachtasyl

Am Anfang steht ein Wetterbericht, was heißt einer, es ist eine fast endlos lange Liste von Wetterberichten, die sich die ganze Nordseeküste entlang ziehen, von Norwegen bis zu den nordfriesischen deutschen Inseln. Dann wird es stürmisch. Der Wind pfeift, nein, erst einmal pfeifen die sieben Männer, die sich einer nach dem anderen auf die ohnehin schon mit Instrumenten voll gestellte Bühne quetschen. Sie werden den Sturm hier entfachen. Es wird eine poetische Reise werden, auf die sie ihr Publikum im Nachtasyl mitnehmen. Eine Reise in die ziemlich unbekannte Lyrik Norwegens. Von den Dichtern dieses Landes am nördlichen Zipfel Europas kennt man nur wenige. Von ihren Gedichten so gut wie keine. Das wollen diese schwarz gewandeten Männer mit ihren Boulderhüten auf dem Kopf ändern. Ob nun in den vertonten Gedichten Pferde im Regen stehen, sich zwei menschliche Fern-Seher umkreisen, in deren Köpfen der Schnee rieselt, oder empfohlen wird, dass man auf keinen Fall auf das junge Gras treten, aber auf jeden Fall seinen Traum träumen sollte.

Diese international besetzte Truppe, die Magne Håvard Brekke ins Leben gerufen hat, singt ausschließlich auf Norwegisch. Doch um das mangelnde Verständnis der Poetik braucht sich keiner im deutschen Publikum Gedanken zu machen. Mit den schwarz-weißen Zeichnungen, die auf die Rückwand projiziert werden, den Einblendungen von Übersetzungen und den kurzen Einführungen der beiden deutsch sprechenden Mitglieder Brekke und Rainer Süßmilch ist der rote Faden jederzeit greifbar. Denn um das wortwörtliche Verstehen geht es hier eh nicht, vielmehr um das Einfühlen in die norwegische Sprachmelodie, in die nordische Atmosphäre und in die Emotionen, die durch die Vertonung der Gedichte zum Ausdruck kommen. Und da ist alles mit dabei. Von Melancholie bis Aufruhr, von Freude bis Ironie, von Zartheit bis Wildheit. Jeder Song spiegelt das Gedicht in seiner ganzen Bandbreite des Ausdrucks wieder. Jeder Song hat seine eigene Klangfarbe, die sich aus Rock, Folk, Jazz bis hin zum Punk bedient. Doch Brekke ist nicht umsonst ein Theatermann. So ist der Abend bis in jede Bewegung, in jede Mimik, in jedes Wort, in jeden Ton Teil einer Inszenierung. Dieser verwegene und sympathische Haufen ist ein Ereignis, ihr Auftreten eine große Show im Kleinen. Schade dass im Nachtasyl noch Plätze frei blieben. Deswegen: Wann immer sich noch einmal die Gelegenheit bieten sollte, Ljodahått zu erleben, auf jeden Fall hingehen. Dieses Erlebnis sollte man sich nicht entgehen lassen.





Birgit Schmalmack vom 22.4.24