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Kein Wunder in Sicht

Das Wunder von Hamburg, Ligna Foto: Ulrike Köther

Das Narrenschiff schaukelt durch die Nacht. Von Kampnagel aus geht es durch die feine neoliberale Immobilienwelt Hamburgs, auf der Suche nach dem Wunder von Hamburg. So viel sei verraten: Es wird nicht durch die Panoramafenster des umgebauten Trucks zu sehen sein, in dem die Mitfahrenden in ansteigenden Reihen hintereinander sitzen und die Stadt als Bühne erleben werden. Sie machen sich unsichtbar, um etwas zu sehen. Das Theaterkollektiv Ligna (Ole Frahm, Michael Hueners und Torsten Michaelsen) öffnet zunächst die Augen für die Aktionen der Wertsteigerungen in den besseren Villenvierteln Hamburgs. Denn die Bebauung einer Stadt transformiert sich ständig, auch in den guten Lagen. Hier direkt am Wasser, an den Alsterläufen. können diese Baumaßnahmen den Wert der Grundstücke und Häuser in ungeahnte Höhen treiben. Nachdem die Zuschauer:innen in etliche erleuchtete Fenster geschaut, einige Baugerüste entdeckt und so den Blick geschärft haben, bleibt der Truck stehen und die Außen-Scheinwerfer gehen an. Wir stehen vor einer unbebauten Fläche mitten zwischen zwei Alstervillen, mit einem Bauzaun davor. Hier hat man keine Eile etwas Neues zu bauen, denn Schilder, die einen Neubau ankündigen, fehlen noch. Ein Muster, das Ligna den Mitfahrenden noch öfter an diesem Abend vorführen wird.
Um die Mechanismen dahinter zu erklären, gehen die Leinwände vor den Panoramascheiben herunter. Man sieht mitten in Altona eine große Brache. Dort wo bis vor ein paar Jahren noch die Holstenbrauerei ihr Bier braute, erstreckt sich ein großes Trümmerfeld voller Schutt und Sand, mit ein paar halb abgerissenen Reste der ehemaligen Brauereigebäude. Hier hat die Adler-Group Fakten geschaffen. Die ehemaligen Gebäude sind zerstört, doch die versprochenen neuen Wohnungen und Büros fehlen immer noch. Die Adler-Group kann sich das leisten, denn sie kann der Wertsteigerung beim Wachsen zusehen. Ohne dass sie weiteres Geld für die Bautätigkeiten in die Hand nimmt, wächst der Wert des Grund und Bodens. Innerhalb von drei Jahren ist er des Grundstücks von 65 auf 364 Millionen gestiegen. Eine traumhafte Rendite, die sich mit keinem Bau und Verkauf von Immobilien erzielen ließe.
Auf geht es zu weiteren Orten in der Stadt, an denen sich die Prinzipien des Geschäftes mit dem Stadtraum beobachten lassen. Wenn Makler mit dem Label werben: Mit dem Blick auf die Rote Flora, dann wird das Symbol des anarchischen Widerstands gegen den Kapitalismus mal eben gekapert und für die eigenen Zwecke genutzt. Auf dem Schulterblatt stockt die Übertragung über die Funkkopfhörer. Ein Ligna-Mitglied schaltet sich ein: Wahrscheinlich ein Störsender der Roten Flora, die für die Mitfahrenden jedoch unsichtbar bleibt, weil sie auf die Piazza blicken.
Ein weiteres Beispiel der lukrativen Brachenerschaffung kann auf der Reeperbahn besichtigt werden: Hinter dem Bauzaun, der seit dem Abriss der Esso-Häuser eine Leerfläche umschließt, wächst neben dem Gras nur der Wert des Grundstücks. Die Planungen zusammen mit den Bürger:innen im Rahmen der Planbude auf dem Spielbudenplatz liegen auf Eis, seit der Investor den gefundenen Kompromiss aufgekündigt hat. Die einst günstigen kleinen Wohnungen mitten im Kiez sind vernichtet und die versprochenen neuen Ersatzwohnungen in weiter Ferne.
Am Gängeviertel vorbei geht es in die Innenstadt. Wobei dem geretteten Viertel der Rücken gekehrt wird, obwohl es doch für ein gelungenes Beispiel der von Bürgerbeteiligung gestalteten Stadtentwicklung stehen könnte. Doch wir fahren an ihm vorbei, mit dem Blick auf das Unilever-Gebäude, für die die übrigen Teile des ehemaligen Gängeviertels abgerissen werden mussten. Dann die nächste Brache. Statt der neuen Lessinghöfe klafft ein Loch. Wer hier mit markigen Sprüchen für einen Neubau sorgen wollte, ist noch halb zu entziffern: Signa. Langsam bewegt sich das Narrenschiff auf den Namen zu, der mit seinen Investitionen paradigmatisch für eine Entfesselung des Immobilienmarktes stehen könnte.
In der Innenstadt wird der erste Wallfahrtsort besucht: die Europa-Passage mit ihrem Foodsky , Konsumangeboten und ihren Brücken kurz unterm Himmel. Tanzend schlendern die Besuchenden hindurch, mit ihren blinkenden Kopfhörern sorgen sie für Aufmerksamkeit bei den Wochenendeinkäufer:innen. Draußen begegnet man wieder Werbetafeln mit dem Logo von Signa. Neben den Sperrholzplatten, die die eine Hälfte des Karstadtgebäudes von dem anderen abtrennen. Wo einst die Verbindungsbrücke war, klafft jetzt ein Loch. Doch vielleicht lässt es sich ersetzen? Wenn nur die Menschen sich an den Händen fassen und eine imaginäre Verbindung erschaffen, in der sich wandeln lässt?
Weiter geht es in die Hafencity. Denn hier gibt es nicht nur viele neu entstandene Immobilien zu besichtigen, sondern auch eine weitere ins Stocken geratene Investition von Signa. Das einst imaginierte Wahrzeichen von Hamburg, das an den Elbbrücken als Symbol für den neuen Stadtteil dienen sollte, ist nur ein löcheriger Turm aus Säulen und Decken. ein Symbol der Leere. Wie ein Regal, in dem der Inhalt fehlt. Als der Unternehmer und Eigentümer von Signa Benko in die Insolvenz gehen musste, weil sein Immobilienkartenhaus in sich zusammenbrach, froren die Bautätigkeiten ein. Seitdem steht dieser Turm dort eher als Symbol eines Immobilienmarktes, der wohlmöglich an sein Ende gekommen ist. Ist die Blase schon geplatzt? Kann man ihn zum Einstürzen bringen? Kann man in ihrem Umriss den Freiraum neu erkunden und gestalten? Das sollen die Mitfahrenden an ihrem zweiten Wallfahrtsort ausprobieren. So tanzen und wirbeln sie unten vor dem Turm auf der kleinen Hafenfläche frei herum, um vielleicht den Spielraum neu zu definieren.
Klar, das Wunder von Hamburg wurde nicht gesichtet. Aber viele gescheiterte Visionen vom großen Geld, aber auch von partizipativer Stadtraumgestaltung. Ligna führt klar die Prinzipien der neoliberalen Stadtraumvermarktung vor Augen. Dazu bietet der ins Bodenlose gestürzte Benko natürlich ein perfektes Anschauungsobjekt. In seinem Scheitern könnte auch ein Neuanfang liegen. Auch das wollen die Macher von Ligna andeuten. Doch mit Tanzen unter einer Bauruine ist es wohl nicht getan. Vielleicht lassen sich auf der Rückfahrt bei süßem Popcorn, flackerndem Diskolight und poppiger Musik ein paar Ideen entwickeln? Eventuell hätten dazu aber auch die wenigen gelungenen Beispiele in Hamburg ein paar Anregungen geben können. Wie konnte die Rote Flora, die Hafenstraße und das Gängeviertel erhalten bleiben? Doch dann hätte die Bustour die angekündigte Dauer von 120 Minuten noch um etliche weitere überschreiten müssen und der Sprit hätte erst recht nicht gereicht. Auch so musste der Fahrer schließlich schon kurz vor Ende die Tankstelle anfahren.
Birgit Schmalmack vom 22.10.24