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Kontinuität der Xenophobie

Pop, Pein, Paragraphen, Gorki © Ute Langkafel MAIFOTO


Es ist ein Postulat, wenn ein Theater wie das Gorki für seine Eröffnungspremiere der Saison dem Filmemacher Cem Kaya die Bühne überlässt. Denn was hier zu sehen ist, kann man nun wirklich nicht als große theatrale Bühnen-Inszenierung bezeichnen, es ist eher ein Videovortrag mit bildungspolitischem Inhalt.
Denn mit diesem Abend will Cem Kaya einiges klar stellen. Er hat sich dafür tief in die Filmarchive begeben und anhand von Recherche-Material Bezüge in dem Verhältnis von Türkei und Deutschland aufgespürt, die manchem unbekannt sein dürften. Er stellt dabei Verbindungen her, die seine These einer durchgehenden Kontinuität von gesellschaftlichen Diskursen unterstützen. So verschränkt er zwei Fälle miteinander, die über sechzig Jahre auseinander liegen. In beiden Fällen geht es um ein Asylersuchen. Der eine Fall ist der von Kemal Altun, der in der Türkei im Widerstand gegen die Grauen Wölfe engagiert war. Er suchte in Deutschland Schutz vor der in seinem Heimatland drohenden Todesstrafe. Doch während Altun das Asyl verweigert werden sollte und er deswegen aus dem 6. Stock des Gerichtsgebäudes springt und stirbt, tut in dem anderen Fall die damalige deutsche Regierung alles dafür, dass der Flüchtende Asyl erhält. Talat Paşa, einer der Hauptorganisatoren des armenischen Völkermordes 1915 wird sogar dafür mit einem deutschen U-Boot außer Landes gebracht.
Doch Kaya ist ein charmanter Aufklärer ohne erhobenen Zeigefinger und ohne moralinsauren Unterton. So beginnt er seinen Abend mit einer Folge von „Guten Tag", einer Serie, die das deutsche öffentlich rechtliche Fernsehen mit großem Aufwand für die Gastarbeiter kreierte. Dort treten Goethe, Beethoven und Humboldt höchstpersönlich auf, um den Eingewanderten die deutsche Kultur näher zu bringen. Im Schlosspark von Sancousi besteht die hübsche junge Einwanderin den Test der drei Geistesgrößen, denn sie hat ja brav die Deutschkurse des Goethe-Instituts besucht.
Die selben grauen Herren begrüßen später auch die Zuschauer:innen im Foyer, nachdem sie nach zweieinhalb übervoll gepacktenStunden Vortrag und um etliche Erkenntnisse reicher entlassen worden sind.
Kaya macht klar: In regelmäßigen Abständen ist immer wieder von Schwemme, Flut, Verdrängung der deutschen Kultur, Ausnutzung des Sozialsystems und Begrenzung der Zahlen die Rede. Die Anlässe und Umstände mögen unterschiedliche sein. Der Anwerberstopp 1973 führte nicht zur gewünschten Reduktion sondern im Gegenteil zur Erhöhung der Einwanderungszahlen, da der Familiennachzug nun verstärkt das Mittel der Wahl war. Die Auswirkungen des Kalten Krieges führten zu einer Vermehrung der Asylsuchenden und bald sprach man von Asylmissbrauch und Asylantenschwemme. Die Wiedervereinigung führte direkt in die Baseballschlägerjahre. Doch die Brandanschläge gab es schon vor dem Mauerfall, wie Kayas Zusammenschnitt der dokumentierten Mordanschläge ab dem Ende der 70ziger beweist. Wenn einige der damaligen O-Töne zu hören sind, meint man heutige AfD-Politiker zu vernehmen. Das Gift der Fremdenfeindlichkeit mit der dazugehörigen Schuldzuweisung der Probleme der Gesellschaft an die „Ausländer“ tröpfeln die Populisten immer wieder gerne in die Gesellschaft ein.
Kaya mutet dem Publikum große Bögen mit vielen Querverweisen in schneller Folge zu. Auch das Projekt der Bagdadbahn zwischen dem Kaiserreich und dem Osmanischen Reich und die spätere Waffenbruderschaft im Ersten Weltkriegdarf für ihn nicht fehlen. Diese weitere Schleife in die noch frühere Vergangenheit braucht er, um den Fall Pasa in seine These einzubinden. So erklärt er anhand von schwarz-weißem Filmmaterial die Vorgeschichte des Genozids an den Armeniern, dessen Verurteilung Deutschland als einziges Land im Europaparlament nicht zustimmen mochte, da es um seine Gefolgschaft im Ersten Weltkrieg wusste.
Einen vor allen Dingen in der Türkei bekannten Mitstreiter in Sachen Verschränkung von Pop und Politik hat sich Kaya ins Gorki geladen: Der You-Tuber Ekim Acunkommt in Shorts und silbernen Highheel- Stiefeln auf die Bühne. Er wuchs in den 80zigern auf, in denen Turgat Özal die Türkei nach dem zweiten Putsch mit klarem Blick in eine Phase des Wohlstands und des Konsums führte. So sprach in dieser Zeit keiner mehr über die Menschen, die während und nach der beiden Putsche verschwunden oder ermordet worden waren. Die bunte Glitzerwelt, die in den Medien überall präsent war, erschien so verlockend, dass es besser war, den Mantel des Schweigens über all diese unangenehmen Dinge zu legen. Der Pragmatismus von Özal wurde so zu dem der Türken und Türkinnen.
Kaya ist ein Unterhaltungs- und Kommunikations-Profi, der seine Erkenntnisse stets mit einem Augenzwinkern und ironischem Unterton präsentiert, in die sich kein Hauch von Selbstgerechtigkeit einschleichen. Es gibt bei ihm kein Gegeneinander von Wir und Ihr. Das macht den Abend, wenn auch sehr anstrengend, so doch auch einladend. Es geht ihm um die gemeinsame Verbesserung der Gegenwart. Vielleicht kann man doch etwas aus der Vergangenheit lernen? Obwohl seine Vortragsperformance gerade bewiesen hatte, dass die Chancen dazu bisher nicht genutzt wurden.
Also sollte man eventuell zu anderen Mitteln greifen? Launig wie der Abend begann, so endet er auch: Mit dem Vorschlag zu einer Teufelsaustreibung. Dazu zeigt Kayazum Schluss Ausschnitte seines Filmprojektes„Do Not Listen!“, in dem er Christen aus „Der Exorzist“ und Muslime aus dem türkischen Remake „Şeytan“ gegeneinander schneidet und wie in einem Rap-Song das böse Gift der Xenophobie austreiben lässt, ausgerechnet unterlegt mit einer Rede Angela Merkels, in der sie die Integrationsunfähigkeit der Türken beschreibt. Gemeinsam gegen das Böse. Wenn das man klappt.
Birgit Schmalmack vom 22.10.24