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Wir backen Körperteilchen

Touch Id, Erotic Art Museum


Der Backofen surrt schon, als die Menschen nach und nach die Räumlichkeit des Erotik Art Museums auf St. Pauli betreten. Sie verteilen sich um die L-förmige Tafel in der Mitte des Raumes. An der Stirnseite wird schon eifrig geknetet. Sylvester Röpcke bewegt mit zärtlichen bis zupackenden Gesten den grünen Teig in ihren Händen. Linda Lou Dierich-Matzke begrüßt derweil alle und informiert über die tieferen Zusammenhänge von Fröschen, Teig und Nacktheit, die bisher nicht jedem bekannt gewesen sein dürfte. Joseph Boys, Marina Abramovic und die Venus von Milo sind ebenso Referenzgrößen in ihrem Vortrag wie die knallgrünen Weingummifrösche, die sie zwischendurch an die Wände klebt. Alle drei Komponenten werden an diesem interaktiven Performanceabend noch eine Rolle spielen.
Doch es soll nicht nur geredet sondern auch Berührung erfahren werden. Jede:r bekommt ein Teigbällchen und darf einen Körperteil formen, doch erst nachdem der Teig liebevoll vorbereitet und man mit ihm in Kontakt gekommen ist. Schließlich ist so ein Hefeteig ein lebendiges Wesen und hat auch eine Seele, die gestreichelt werden will. Brüste, Füße, Hände und Nasen werden geformt und wandern anschließend auf den Rost in den vorgewärmten Ofen. Während sich nun der Geruch von warmen Hefeteig im Raum verbreitet, denkt die Gruppe über die Nacktheit auf der Bühne nach. Röpke leitet dazu an, sich an Performances zu erinnern, in denen dieses Stilmittel gelungen eingesetzt worden ist. Namen wie Holzinger, Le Roy oder Sasha Waltz fallen. Immer wenn die nackten Körper im Laufe der Vorführungen nicht im Vordergrund der Aufmerksamkeit und zu einer Selbstverständlichkeit würden, könnten sie über sich selbst hinausweisen, so ist die vorläufige Quintessenz der Gruppe, als das Bing des Ofens anzeigt, dass die Teilchen nun fertig seien. Sie haben sich verändert, ganz wie die Körperteile von Menschen es auch zu tun pflegen. Man tut sich schwer seine eigene Form wieder zu finden. Irgendwie sind doch alle Menschen gleich und so auch die geformten Körperteilchen. Völlig nackt liegen sie dann vor einem. Nun ist Bedeckung gefragt. Ganz nach dem eigenen Gusto stehen dazu Teller mit Salat, Gürkchen und Wurst zur Auswahl. Die unterschiedlichsten Dekorationen entstehen und laden zu Kommentaren ein. Anschließend dürfen sie verspeist werden.
An der Tafel entspinnen sich Gespräche über die eigenen Gedanken zum Prozess und zur Verknüpfung mit der künstlerischen Praxis auf der Bühne. Wenn Linda sich auf dem auf dem Boden ausgelegten Backpapier in die Teilchen im Ofen einfühlt und danach ein kleines Froschtänzchen vorführt, ist das nicht ohne Komik. So schaffen es Röpcke und Dierich-Matzke mit minimalen Mitteln, geschickter Setzung und einer gehörigen Portion Selbstironie das Thema nackte Körperteile in Bezug zu den teilnehmenden Bäcker:innen zu bringen, ohne ihnen dabei zu sehr auf die Pelle zu rücken. Die Verführung dazu hätte bei diesem Thema nahe gelegen, wurde aber von dem Team geschickt vermieden, ohne dem Tiefgang zu schaden. Ihre gewählte Art der Berührung schafft sinnliche Wahrnehmung ohne je die individuelle Schamgrenze zu überschreiten.
Birgit Schmalmack vom 21.10.24