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Ich wohne in Besson

Ein von Schatten begrenzter Raum Foto: David Baltzer


In deinem Heimatland stirbst du nur einmal, in der Fremde tausendmal. Wenn man auswandert, verliert man sein Land, ab diesem Zeitpunkt sind die Menschen, die einem nahe stehen, die neue Heimat. Die Schauspielerin ist aus der Türkei nach Europa gegangen, wie so viele vor ihr. Manche waren sie vor: Hier hast du als Iphigenie auf der Bühne gespielt, drüben bist du nur noch die türkische Putzfrau. Einzig die Kulturlosen seien nach Europa gegangen und hätten dort das Bild der Türken geprägt. Die neuen Auswanderer können das nun verändern, so hofft die junge Frau. Selbst die Eltern raten ihr später: Komm nicht zurück. Denn in der Türkei ist es nach dem Putsch gefährlich geworden. Über Istanbul kreisen die Hubschrauber, die Menschen werden selbst hinter ihren Fenstern erschossen und massenhaft verhaftet. Dennoch wird sie genau das erleben, was man ihr prophezeit hat, sie wird zur Putzfrau. Zum Schluss aber zumindest eine mit einem Staubsauger, wie sie schmunzelnd anerkennt. Sie habe also Karriere gemacht.
Nur die Bekanntschaft mit Benno Besson öffnet der Schauspielerin, die von ihm nur „Min“ genannt wird, die Eintrittstüren in die deutsche Theaterszene. Besson wird zu ihrem neuen Wohnsitz. Sie folgt ihm: Erst an die Volksbühne im Osten von Berlin, dann ans Bochumer Theater, danach nach Paris. Doch stets bleibt sie draußen vor. Für die Deutschen bleibt sie die Türkin, die sie in keine Schublade stecken können, und in Paris ist ihr der sprachliche Zugang verwehrt. Erst als sie das zweite Mal nach Deutschland geht, begegnet sie den Größen des deutschen Theaters Matthias Langhoff, Peymann, Hermann Beil, Heiner Müller und fängt an ihre ersten Stücke zu schreiben. Doch selbst als sie später den Bachmannpreis gewinnt, heißt es nur: Ist das nun türkische oder deutsche Literatur? Die Deutschen brauchen wohl ihre Schubladen.

Nuran David Calis hat den umfangreichen Roman von Emine Sergi Özdamar mit nur drei Schauspieler:innen auf die Bühne gebracht. Sie alle spielen die Hauptrolle ganz in der schwarzenUniform der gebildeten Elite. Schwarze Hose zu schwarzem Hemd plus schwarzer Lederjacke, ganz wie es sich für Intellektuelle der damaligen Zeit gehört. Zwischendurch springen sie mit Hilfe eines kleinen Requisits, wie einer Brille, einem Schnurrbart oder einem Tuch in eine der anderen Rollen. Dazu gibt es hinter und neben der Bühne insgesamt fünf weitere Plätze, die mit Kameras nach vorne übertragen werden. Denn die Hauptbühne wird von einem Zugabteil eingenommen, mal mit der Fensterfront und mal mit den Sitzreihen zum Publikum. Über seinem Dach sind drei Projektionsflächen eingeblendet, um den Sprachbildern des an Metaphern reichen Romantext von Özdamar Ausdruck zu verleihen. Die Sprache des Romans und damit auch die Umsetzung auf der Bühne ist bilderreich. So tauchen die Krähen, die im Text mit Emine sprechen, ganz leibhaftig auf, erst als Zeichnung, dann als verkleidete Schauspieler im Krähenkostüm.
Hier wird alles gedoppelt oder gar verdreifacht. Die Inszenierung springt von der geschichtlichen, gesellschaftlichen, politischen zur privaten Ebene. Der den Türken vorgeworfene Völkermord an den Armeniern, der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei, die zwei Putsche in der Türkei, die Auswandererwelle nach Europa, die Vorurteile in Deutschland; der Themen sind viele, die in dieser prall gefüllten Aufführung angesprochen werden. Alles hängt mit allem zusammen. So geht es Schlag auf Schlag.
Auf diese Weise schafft die Regie, den Inhalt des umfangreichen Romans in nur gut eineinhalb Stunden als Gastspiel des Schauspiel Kölns in Szene zu setzen. Das ist mit Geschick für Timing, für Stimmungen und für Abwechslung umgesetzt. Doch manchmal fällt es schwer, mit diesem Tempo Schritt zu halten. Die stillen Momente drohen dabei fast unterzugehen, dabei hätte diese spannende Frau ein Innehalten, ein Raumgeben und eine Differenzierung verdient. Denn sie ist gerade keine, die nur auf die Umstände reagiert sondern ganz im Gegenteil agiert und gestaltet.
Doch die nächste Szene wartet schon und so geht es rasch weiter. Das einzige also, was man der kurzweiligen, informativen, spannenden und ideenreichen Inszenierung vorwerfen könnte, ist dass sie zu viel in zu zu wenig Zeit will. Sie jagt im Schnelldurchlauf durch die Geschichte, die persönliche und die politische, und nimmt sich zu wenig Zeit für die Geschehnisse unter der Oberfläche. Doch man sollte ja das Publikum nicht unterschätzen: Vielleicht finden die derweil im Kopf der Zuschauer:innen statt.
Birgit Schmalmack vom 15.10.24

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