Pina Bausch: Kontakthof, Kampnagel

Tanzschule statt Partyclub

Lippen nachziehen, Haare zurecht streichen, Kleid glatt ziehen, Zähne kontrollieren, Haltung einnehmen. Das sind die Grundübungen, bevor es in die altertümliche Schulaula geht. Fein gemacht haben sich die 26 Jugendlichen: Anzug und Partykleid bestimmen das Outfit. Um die Kontaktanbahnung mit dem anderen Geschlecht geht es, ganz ohne Twitter, iPod oder Facebook. Face to Face, Körper an Körper. Die Unsicherheiten, Verlegenheiten, Sehnsüchte, Wünsche, Fehler und Enttäuschungen sind die gleichen wie vor 40 Jahren. 1978 inszenierte Pina Bausch den Kontakthof zum ersten Mal mit ihrem Ensemble, 2000 erneut mit Senioren über 65 und 2008 mit Jugendlichen über 14.
Letztere sind nun ein paar Jahre älter geworden und zeigen die Inszenierung erneut auf dem Sommerfestival auf Kampnagel.
Wie nah Freud und Leid in der ersten Liebe beieinander liegen ,zeigen viele eindrückliche Bilder in dem fast dreistündigen Stück: Die Jungen malen Gesten der Liebe in die Luft. Sie streicheln ein imaginäres Gesicht, eine vorgestellte Taille. Ein Mädchen schlüpft hinein und sofort bricht der Junge seine Zärtlichkeit ab und läuft weg.
In der nächsten Szene zeigt Bausch, wie schnell Zärtlichkeiten zu Verletzungen werden können. Scheinbar bittet der Junge seine Dame zum Tanz. Doch sein Streicheln kippt schnell in ein Kneifen. Ihr Haarwuscheln wird zu einem Klaps. Sein Umfassen der Hüfte zu einer erzwungenen Rumpfbeuge.
Immer wieder geht es um Sehnsüchte, Vorstellungen, Begierden: Die Jungen nehmen auf der einen Seite Platz, die Mädchen stehen auf der anderen. Beide Parteien machen hektische Bewegungen. Erst als die Jungen ganz nahe auf ihren Stühlen an die Mädchen herangerückt sind, erkennt man den Sinn ihrer Bewegungen: Die Jungen versuchen die Mädchen zu umgreifen und die Mädchen die Jungen abzuwehren.
Wie manche der Annäherungsformen so stammt auch die Musik aus einer anderen Zeit: Alte deutsche Tanzmusik und Schlager aus den fünfziger Jahren sind zu hören. Die Mädchen üben sich in Verführungskunst und die Jungen bewahren Haltung. Gerade in der Gegenüberstellung von gestriger Form und jungen heutigen Protagonisten liegt der Reiz dieses letzten Kontakthofes, aus dem Bausch dank ihrer gewitzten jugendlichen Darsteller gekonnt einen humoristischen Mehrwert zu ziehen weiß.
Birgit Schmalmack vom 12.8.11



Zur Kritik von

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