Wer bestimmt mein Leben?
Ganz groß rauskommen wollte er. Eine eigene Mode-Design-Linie kreieren. Einem Laden in New York aufmachen. Vielleicht sogar vom einem Wieder-Zusammenkommen mit seiner Exfreundin, die mittlerweile dort lebt und arbeitet. Doch nun steht vor den Gefängnismauern von Tegel und blickt hinüber. Er muss für fünf Jahre wegen Hehlerei mit Fake-Kleidung ins Gefängnis. Wenig ist ihm geblieben, Nur seinen alten gut gepflegten Mercedes 230 hat er noch. Als kleines Modell steht er an der Bühnenrampe. Immer wieder bekommt er Angebote ihn zu verkaufen, doch er lehnt ab. Hat er noch etwas mit ihm vor?
An seinem letzten Tag in Freiheit besucht Can (Taner Şahintürk), genannt Gianni, alle alten Freunde und Bekannte noch einmal. Selbst seine Eltern sucht er auf. Seinen Vater (Falilou Seck), dem auch aufgrund unsauberer Geschäfte der Abstieg beschert war, seine Mutter (Sema Poyraz), die beide immer wieder aufzubauen versucht, seinen Kumpel, mit denen er früher Musik machte, seine Geliebte (Sesede Terziyan), die er von einem auf den anderen Tag ohne Erklärung verließ. Alle Stationen seines bisherigen Lebens in Berlin läuft er ab. Auf der Suche nach dem Moment, wo er vielleicht falsch abgebogen ist. Oder ist es einfach nur so: Manche Menschen werden schon mit guten Voraussetzungen geboren, andere eben nicht? Can gehörte eindeutig zur zweiten Kategorie. Ein Trost?
Noch träumt er von einem Ausweg. Vielleicht türmt er einfach nach Istanbul? Doch dann würde er wieder einmal abhauen und sich den Konsequenzen nicht stellen, wie ihn seine Ex-Geliebte auf den Kopf zusagt.
Hakan Savaş Mican inszeniert sein eigenes Stück - erster Teil seiner Berlin-Trilogie - als Mischung aus Film und Bühneninszenierung. Mit einer Jazz-Kombo, die melancholische Jazzstücke live einstpielt unterlegt er die Spurensuche Cans an den Originalplätzen Kreuzbergs mit hohem Wiedererkennungswert. Und lässt dabei die Personen aus den Filmausschnitten direkt auf die Bühne treten. Şahintürk läuft wie ferngesteuerter Mann, der nicht glauben kann, was er aus seinem Leben gemacht, mit halb verschämt grinsender, halb wütender Mine, durch die Szenerie. Eher Getriebener als Entscheidender. Darf oder soll er aufbegehren, darf oder soll sich den Tatsachen stellen, darf und soll Verantwortung übernehmen? Zum Schluss greift er zur Fernbedienung und seinem kleinen Mercedes gehört der letzte Auftritt.
Birgit Schmalmack vom 12.1.22