Das ganze Leben eine Ausschweifung
Bunzel ist außer sich: Er möge den Brandauer ja als Kollegen, aber das der jetzt in der Verfilmung seiner Biographie die Hauptrolle spielen soll, das gehe gar nicht. "Ich soll jetzt ein anderer sein? Dabei war Ich doch immer mein Lieblingsprojekt."
Doch eigentlich hat er heute gar keine Zeit zum Grämen. Nach langen Wartejahren scheint seine Karriere endlich wieder in Schwung zu kommen. So gibt es genügend zu tun, um sich abzulenken. Heute Abend wird seine berühmte Kollegin und Freundin Doris Dorsch in seinem Zimmertheater einen Gastauftritt geben. Zudem muss er den Text für ein Casting bimsen. Eine Wahnsinnsrolle. Er darf einen Professor spielen. Allerdings wird er nicht über die zwei Anfangszeilen des philosophischen Textes hinauskommen. Außerdem halten ihn Aufnahmen für einen Werbespot und das Einspringen für einen erkrankten Kollegen in Braunschweig auf Trab.
Und dann ist da ja auch noch sein treuer Gefährte, der Gerd, sein mit allem Lebensnotwendigen gefüllter Kühlschrank. Leise surrend steht er fest an seiner Seite. Viel mehr passt auch nicht hinein in sein Einzimmerapartment, für das Bunzel schon etliche Monate die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Ein Einmannzelt auf ein paar Paletten hat da noch Platz, ansonsten braucht Bunzel den Platz für seine Zuschauer. Denn so schlecht es ihm auch gehen mag, er muss spielen.
Klaus Pohls Stück über einen Bühnenkünstler, der vom Theater nicht lassen kann, obwohl er nichts außer Rosenblättern in seinem Spendenkasten vor der Tür findet. Er glaubt weiter fest an seinen Wert. Denn nichts anderes ist ihm wert genug, um am Leben zu bleiben. Mehr als einmal hat er schon darüber nachgedacht, sich aus dem Fenster zu stürzen, machte es dann aber aus Mitleid um den alleine zurückbleibenden Gerd lieber nicht. Doch dann klingelt ein ums andere Mal das Telefon und es hagelt Absagen. Doris steckt im Schneesturm fest, der Kollege ist wieder gesund und dem Filmprojekt ist das Geld ausgegangen. Als dann auch noch der gute Gerdi seine Flüssigkeit nicht mehr halten kann, scheint es doch Zeit für den Strick zu sein. Doch dem Brandauer eine so gute Sterbeszene am Schluss des Films gönnen? Auf keinen Fall.
In der Coronazeit ist die Inszenierung von "Nachtgespräche mit meinem Kühlschrank" im Theater das Zimmer entstanden. Ein Stück über die Unbedingtheit der Liebe zum Theater. Es passt auch dreieinhalb Jahre nach seiner Premiere immer noch wunderbar hierher. Besonders wenn es nicht auf einer großen Bühne wie damals mit Monika Bleibtreu im St. Pauli Theater aufgeführt wird, sondern im kleinsten Theater Hamburgs, im Theater das Zimmer in Hamburg Horn. Hier braucht am ursprünglichen Text nur wenig verändert zu werden. Hier wird Bunzels Einraumwohnung gleich zum Bühnenraum. Hier ist der Kampf um die Zuschauer immer direkt greifbar. Hier ist die Liebe zum Theater und das Trotzdem des Weitermachens wie in keinem anderen Theater der Stadt erlebbar und zwar hautnah. So dürfen die Zuschauer:innen auch direkt mitwirken an dem gemeinsamen Erlebnis der großen Kunstentstehung. Als Doris nicht kommen kann und der anvisierte Ersatz durch die einspringende Sandra Kiefer (die hier Regie führt) aufgrund technischer Schwierigkeiten scheitert, bekommen alle Anwesenden den Text eines Nestroycouplets in die Hand gedrückt. Während Bunzel den Text stumm interpretiert, lesen ihn die Zuschauenden stumm mit. Ein bewegender Moment, wie nicht nur Bunzel selbst feststellt.
Stephan Arweiler hat seinen Königsmantel aus dem Original gegen einen Monteursanzug eingetauscht, bei dem er alles Wichtige immer am Mann hat. Er ist ein bodenständiger Theaterhandwerker und ein überaus sympathisches Stehaufmännchen des Scheiterns. Er scheitert jeden Tag aufs Neue und er beginnt jeden Tag wieder von Neuem. Er kann nicht aufhören an den Sinn seines Bühnenwerks zu glauben, denn er hat keinen anderen. Der Abend ist zu einer Liebeserklärung an das Theater, aber auch an das Leben an sich geworden. An die Möglichkeit den Glauben an sich selbst und seinen Traum nie zu verlieren, mögen die Umstände auch noch so hoffnungslos sein. Eine liebevolle Arbeit, so maßgeschneidert für das Theater das Zimmer, als wäre es nie für eine andere Bühne gedacht gewesen.
Birgit Schmalmack vom 18.3.24