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Eidinger spielt mit dem Publikum

Richard III., Hamburger Theaterfestival



Die Party findet ohne ihn statt. Zwar duldet man ihn am Hofe, aber er ist ein Outcast. Mit seinem Buckel, mit seinem Klumpfuß, mit seinem missratenen Äußeren von Geburt an, gehört er nicht zum erlauchten Kreise dieser High Society, die hier fröhlich feiert. Zwar ist er auch von blaublütiger Abstammung, doch ohne Chance auf Karriere. So scheint es jedenfalls. Doch insgeheim schmiedet der Außenseiter schon seine Pläne zur Veränderung seines Schicksals. Er schnappt sich das Mikro, das in der Mitte von der Decke baumelt und steht im Scheinwerferlicht. Denn in das Mikro ist eine Lampe integriert. Als er die Ankündigung seiner Umsturzpläne ins Publikum geschleudert hat, greift er nach den Schlaufen am Mikrokabel und schwingt sich wie ein Zirkuskünstler über die Zuschauerreihen hinweg. Dieser Richard ist ein Tausendsassa, der den Behinderten gibt und es faustdick hinter den Ohren hat.
Bei Lars Eidinger unter der Regie von Thomas Ostermaier ist "Richard III" weniger ein blutrünstiger Schlächter, der einen vermeintlichen Konkurrenten nach dem anderen aus dem Weg räumt, als vielmehr ein verschmitzter Spieler, der dem Publikum zuzwinkert, während er seine Mordtaten präsentiert. Er ist der geborene Manipulator. Sogar das Publikum kann er spielend auf seine Seite ziehen. Er erzählt ein wenig von seiner schweren Kindheit, von der Ungerechtigkeit seiner äußerlichen Natur, von seiner Zurückweisung durch die Anderen, die nur auf Äußerlichkeiten setzen, und schon scheinen ihm alle Sympathien zuzufliegen. Auch als Bestie bleibt er ein augenzwinkernder Charmeur. Man mag an Trump denken, der behauptet hat, dass er auf der Sixth Avenue einen Mord begehen könnte und ihn trotzdem niemand anklagen würde.
Das Ensemble (Moritz Gottwald, Eva Meckbach, Jenny König, Sebastian Schwarz, Robert Beyer, Thomas Bading, Christoph Gawenda, Laurenz Laufenberg) um ihn herum gerät bei so viel Fokussierung auf die Titelbesetzung fast zu Stichwortgebern. Sie haben in ihren Rollen wenig Gestaltungsspielraum, denn Richard beansprucht auch den ganz für sich allein. Er zieht die Fäden und alle um ihn herum haben nur die Funktion sich wie Marionetten nach seinen Vorgaben zu bewegen.
Für diesen Richard ist Eidinger die Idealbesetzung. Die Bühne wird zu seinem Spielplatz. Das Spielen kann er auch nach der letzten Szene nicht sofort ablegen. Nur mit Unterhose bekleidet springt er beim Schlussapplaus auf den Tisch, über den er kurz zuvor noch wie ein Stück Fleisch baumelte. Kurzerhand lädt er alle Anwesenden in das "Grill Royale" zur fetten Party ein. Er werde auflegen und freue sich auf ein rauschendes Fest, bei dem er mit von der Partie sein werde, nein, sogar mit seiner Musik die Stimmung bestimmen wird. Das Publikum im Schauspielhaus belohnte seine Glanzleistung mit Standing Ovations, bei denen kaum jemand sitzen blieb.
Birgit Schmalmack vom 24.6.24