Via intoleranza II
Von der Unmöglichkeit eines Projektes
Von der Möglichkeit der ständigen Hinterfragung
Der Anfang erinnert an einen schlecht organisierten Videovortrag in einer Volkshochschule. Auf der Bühne scheinen noch die Requisiten der letzten Veranstaltung zu stehen: die Instrumente für ein kleines Orchester, ein paar Tische, ein Bühnenkubus. Ein paar weiße Vorhänge sind quer über die Bühne gespannt. Am Rednerpult gibt es Dankesworte an die Spender und die Ankündigung dass der Hauptredner wegen Krankheit ausfalle. Der hereingestolperte Ersatzmoderator wirkt einigermaßen überfordert und hat Schwierigkeiten mit der Technik. Endlich bekommt er die Filmeinspielung gestartet: Die schwarz-weißen Bilder der Verfilmung des Dantenschen „Infernos“ von 1911 läuft ab da ständig im Hinter- oder Vordergrund laufen.
Für seine deutsch-afrikanische Koproduktion hat Schlingensief eine Truppe aus Afrikanern und Europäern zusammengestellt. Eine Opernadaption von Luigi Nano „Intolleranza 1960“, in der ein Gastarbeiterschicksal mit Diskriminierung, Folter und Tod geschildert wird, sollte dabei herauskommen. Von der Opernmusik sind nur zwei Minuten Handyeinspielung übrig geblieben. Das Foenix-Trio hält sich mit seiner zum Teil aus der Opernmusik gesampelten Klängen dezent im Hintergrund. Einzig die Szenenaufteilung der Oper gibt den Handlungsablauf grob vor. Die eingeblendeten Szenenüberschriften deuten eine Übertragung auf afrikanisch-europäische Verhältnisse an.
Vor diesen Folien spulen die afrikanischen Künstler ihr übervolles kunterbuntes Showprogramm ab. Daneben sehen die weißen Künstler blass aus. So stehen in einer sich überlagernden Bilderflut Herz-Schmerz-Liebesgeschichten, idealistische Rappertexte, Vodoo-zauber, Predigten, Halleluja-Singen, philosophische Vorträge des schwarzen Übersetzers, Karriereträume neben den sich selbst bemitleidenden Konfessionen der Weißen und langen Vorträge über ihre egozentrischen Kunstambitionen.
Immer wieder die Übergriffigkeit der Weißen thematisiert. Da lobt Stefan großmütig die Bemalungen der kleinen Papphäuser, die die Afrikaner auf der Bühne platziert haben. Da zeigt der ältere weiße Tänzer dem jüngeren schwarzen, wie europäischer Ausdruckstanz funktioniert. Dann wird er aufgefordert „Hunger“ zu tanzen: Er atmet seinen Bauch weg und macht ein leidendes Gesicht. „In deinem Alter kann das doch jeder!“ ist der Kommentar des Weißen.
So prallt afrikanische Showkunst gegen europäische Selbstbespiegelungskunst.
Stellvertretend für letztere schleicht dann doch noch Schlingensief himself auf die Bühne. Selbstironisch merkt er an, dass er auch heute wieder mal wie schon in seinen vier letzten Büchern und seinen drei letzten Theaterprojekten auch jetzt seine Krebserkrankung vor Publikum aus schlachten werde. Sein Bühnendorfprojekt in Burkina Faso habe ihn jedoch einiges gelehrt: Auch für Schlechtes ist ein Halleluja fällig! Mit Blick auf die Gardinen meint er: Er stehe eben in der Kultur-Tradition von Brecht. Die Gardine als Schutzschild und Projektionsfolie passe doch auch heute noch.
Wieder einmal Gekonntes, subtiles Schlingensieftheater, das aber eine längere Einwirkzeit benötigt, da die permanente Überforderung der Zuschauer dazu führt, dass erst im Nachgären die im Kopf herumwandernden Bilder sortiert werden und die Verstandesebene erreichen können. Dann aber wird die Wundertüte der Eindrücke aus einen anscheinend beliebig zusammengestellten Sammelsurium zu einem klug komponierten Mosaikbild, das
die Helfer- und Überheblichkeitsfalle und die eigene Unfähigkeit zur Begegnung auf Augenhöhe ungeschönt offen legen. So Schlingensief rät am Ende: „Einfach weg bleiben und Geld spenden. Die sollen ihr Ding damit alleine machen und wir können im Prenzlauer Berg unser rundum sorglos versichertes gewohntes Leben wieder aufnehmen.“
Birgit Schmalmack vom 27.5.10
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