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Mobbing

Im Kriegszustand
Wann gibt man den Kampf auf? Wann übersteigt die Resignation die Hoffnung auf Verbesserung? Ab welchen Punkt gibt man der Beziehung keine Chance mehr?
Ihr Mann Jo ist ein Krieger. Doch wenn er loszieht in seinem Kampf, bewaffnet er sich nicht mit Gewehr und Panzerfaust sondern mit seiner Aktentasche. Jos Stelle in der öffentlichen Verwaltung hat sich für ihn zu einem Kampfplatz entwickelt. Nur die schönen Schnappschüsse aus dem Familienalbum zeugen noch von einer schöneren Zeit: ein glückliches Paar auf dem Spielplatz mit seinen beiden kleinen Kindern. An einen heiteren Himmel, aus dem das Unglück auf die Familie herabgeregnet ist, kann sich die Frau nicht mehr erinnern. Nach dem Wechsel an der Führungsspitze schien Jo unter ständiger Beobachtung zu stehen. Als sein einziger Verbündeter gegen die Ansichten der Chefin eine neue Arbeitsstelle annahm, stand Jo allein an der Widerstandsfront. Klein beigeben, riet ihm seine Frau immer wieder. Du kannst es nicht beurteilen, du warst nicht dabei, war die Antwort ihres Mannes. Immer mehr Abende verbrachten sie am Küchentisch und die unsichtbare Chefin saß mitten zwischen ihnen. Immer mehr Gespräche enden mit dem schlimmsten und zugleich erlösenden Satz: Dann geh doch!
Als die fristlose Kündigung kommt, scheint das lang Erwartete und Gefürchtete endlich eingetreten. Eine gewisse Erleichterung macht sich breit, der bald einer kompletten Ernüchterung und Depression folgt. Der Frau wird ihre finanzielle Abhängigkeit drastisch vor Augen geführt, als die Einkünfte ausbleiben. Wenn die Achtung vor dem anderen in der Beziehung verloren geht, ist das Ende derselben in Sichtweite. Von dem alten Jo ist fast nichts mehr übrig, stellt die Frau am Ende fest. Den Jo, der auch ihre Position entscheidend aufwertete, gibt es nicht mehr.
In ihrem Roman „Mobbing“ schildert die Autorin Annette Pehnt die systematische Zerstörung eines Mannes an seinem Arbeitstelle aus der Sicht seiner Ehefrau. Gilla Cremer ist diese Frau auf der Bühne der Kammerspiele unter Regie von Michael Heicks. Ihr Mann Jo (Patrick Cybinski) hat sich für sie unerreichbar in einem Glaskasten verschanzt. „Reden, reden, immer nur reden“, ist ihm mittlerweile verhasst. Seine Kommentare gibt er mit seinem Cello. Zwischen tropfnassen Wäschestücken und kübelweise Blumen, die auch zu Pfeilgeschossen werden können, erzählt Cremer im kleinen Schwarzen von dem schleichenden Zerfallsprozess ihres Mannes und ihrer Ehe. Wie sie sich bemüht den Kopf hoch zu halten, nie den Mut zu verlieren, eine gute Ehefrau zu sein, auch die eigene Position zu vertreten, Jo eine gute Beraterin zu sein, die eigene Abhängigkeit strategisch klug im Hinterkopf zu behalten, den Humor nicht zu verlieren und die Angst zu verdrängen – all das zeigt sie in ihrem eindringlichen Spiel. Donnernden Applaus gab es dafür vom Premierenpublikum am Dienstag.
Birgit Schmalmack vom 25.9.08