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Nachtblind
„Zwischen uns hat es gleich gefunkt.“ „So würde ich das nicht ausdrücken. Eher: Zwischen uns flogen gleich die Fetzen.“ Schon über den Anfang ihrer Beziehungsgeschichte können sich Moe (Ole Lagerpusch) und Leyla (Lisa Hagemeister) nicht einig werden. Doch seitdem ist einige Zeit vergangen. Mittlerweile haben sie zusammengerauft, sitzen zusammen auf dem Sofa und streiten sich eher um den richtigen Platz für die Fernbedienung.
Kennen gelernt haben sie sich in einem Club. Schnell werden für die Rückschau die acht braunen Matten, die eben noch das Sofa bildeten, umgekippt und zu einem Tresen neu aufgestellt.
Die kratzbürstige Leyla, die alles tut um sich nie in der Rolle des süßen Mädels sehen zu müssen, imponierte dem hochbegabten Sonderling Moe, der in seiner Freizeit am liebsten physikalische Experimente macht, „destilliert“, wie er es nennt. Ob sie sich auch in ihn verliebt hat, weiß Leyla zunächst noch nicht. Denn ihr gewalttätiger Ex-Freund funkt immer wieder in ihre zarten Anfänge mit seinen Besitzansprüchen. Dass der „zärtlichste aller Männer“ sie immer wieder aus Eifersucht verprügelt, konnte sie eine Zeit lang noch als Zeichen übergroßer Liebe werten. Erst als auch Moe durch ihn in Gefahr gerät, klären sich für Leyla die Fronten.
Doch sie muss sich nicht nur vom Ex-Freund abnabeln sondern auch von ihrer emanzipierten, klugen und verständnisvollen Mutter (Anna Steffens), der sie aber auf keinen Fall nacheifern will. Deren früherer Kampf hat schon alle Steine für ihre Tochter aus dem Weg geräumt - eine Rebellion der nächsten Generation also überflüssig gemacht? Doch die Rolle der Mutter hat unübersehbare Risse bekommen: Der Vater seilt sich gerade mit einer Jüngeren aus der Familie ab.
Lisa Hagemeister verkörpert Leyla mit jeder Faser ihres Körpers. Sie weint mit trotziger Brüchigkeit, sie lacht mit zittriger Unsicherheit, sie liebt mit dem Wort „Arschloch“ auf den Lippen. Jette Steckel vertraut ganz der Kraft des Textes von Darja Stocker und ihren tollen Schauspielern. Mit dem genial einfachen Bühnenbild von Florian Lösche schafft sie ausdruckstarke Bilder, die ohne Requisiten der Aggression, der Wut, der Unsicherheit, der Liebesbedürftigkeit und der Einsamkeit der vier Personen Ausdruck verleihen.
Birgit Schmalmack vom 4.12.06