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Ermittlungen im Fall Lotta Jessen
Eine ganz normale Familie
„Ich glaube, dass jeder in die Situation kommen kann, dass er Dinge tut, die er eigentlich nicht will.“ Lilly ist zwar erst 12 Jahre alt, aber schon reif an Erfahrungen. Ihre Eltern, die Kindergärtnerin Ela und der Krankenpfleger Karl, haben ein fünfjähriges Pflegekind in ihre kleine Familie aufgenommen. Doch die Beziehungsaufnahme zu dem neuen Familienmitglied gestaltet sich schwierig. Das Kind redet kaum, weint viel, macht ins Bett und bekommt ab und zu Wutausbrüche. Die Eltern versuchen ihr Möglichstes, sind aber total überfordert. Fachliche Hilfe fehlt nach einem Umzug völlig. Die kleine Familieneinheit versucht ganz für sich mit ihrem Problem fertig zu werden. Nichts darf nach außen dringen. Lilly übernimmt verantwortungsvoll ihre Rolle als liebe Tochter und große Schwester. Sie beobachtet das Scheitern der Erwachsenen, versucht gleichzeitig zu helfen und deren Versagen zu decken, um ihr eigenes gutes Verhältnis zu den Eltern nicht zu gefährden. Doch als die neue Schwester in den Keller mit Beruhigungsmitteln abgeschoben wird und immer mehr verwahrlost, kann nicht sie nicht länger zuschauen: Sie informiert mit einem anonymen Brief die Polizei. Kurz darauf findet sie sich im Verhörzimmer der Polizei einer Kommissarin (Alexandra Schauwienold) gegenüber wieder. Ihr gegenüber schweigt sie, doch während diese immer wieder den Raum verlässt lässt sie ihren Erinnerungen freien Lauf. Angeregt von der Konfrontation mit den Fragen der Polizistin versucht sie dem Punkt nachzuspüren, an dem aus ihrer ganz normalen Familie eine ungesunde Konstellation wurde.
In der Inszenierung von Judith Wilske spielt die Laiendarstellerin Svea Benzing diese Lilly. Das macht sie großartig. Sie spielt zugleich das liebebedürftige kleine Mädchen, die große Schwester, die verständnisvolle Komplizin ihrer Eltern, die aber letztendlich als einzige Verantwortung übernimmt. Eine Umsetzung des Roman „Kleine Schwester“ von Martina Borger und Maria Straub, die unter die Haut geht und aufmerksam macht für die Verhältnisse im Nachbarhaus.
Birgit Schmalmack vom 6.11.06