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Der Spieler wird zum Spießer

Wolf unter Wölfen, Thalia Foto: Armin Smailovic



Die Bühne (Annette Kurz) dreht sich wie der Roulette-Tisch, immer weiter. Auf ihm versucht Wolfgang Pagel verzweifelt, sich nicht zu verlieren und sogar seinen Platz zu finden. Und mit ihm alle die anderen Gestalten, die in den Wirrnissen der Zeit überleben müssen. Denn diese ist schwierig: Zwischen den beiden Weltkriegen herrschen in Deutschland Hyper-Inflation, Arbeitslosigkeit und Not. Für Pagel ist zunächst nur ein möglicher Ausweg aus dem ganzen Schlamassel erkennbar: Er setzt ganz auf das Glücksspiel, die Hoffnung mit normaler, ehrbarer Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hat er sofort ad acta gelegt. So treibt er sich in illegalen Casinos herum, meist mit bescheidenem Erfolg. Doch eines Abends ist endlich der Tag, auf den er gewartet hat, da: Er gewinnt und gewinnt. Leider kann er in dem Rausch, der ihn ergreift, nicht rechtzeitig aufhören und verspielt alles. Und damit auch die Grundlage dafür, endlich seine Freundin Petra zu heiraten. Mit zwei früheren Bekannten aus der Armeezeit verzieht er sich aufs Land.
Nun geschieht mit dem umtriebigen Pagel eine Verwandlung: Aus dem Spieler wird ein strebsamer, arbeitsamer Gutsverwalter. Zusammen mit dem väterlichen Freund Studmann (Oda Thormeyer) versucht er das Gut vor der Pleite zu retten. Angesichts der chaotischen Zustände auch auf dem Land keine leichte Aufgabe. Denn auch hier ist sich selber jeder der nächste. Jeder kämpft für sich allein und alle gegeneinander. Einzig die Beiden ziehen am selben Strang und haben fest das Ziel vor Augen.
Auf der drehender Bühne sind zu Beginn nur etliche weiße Riesenkugeln zu sehen. Sie erinnern an Roulette -oder Billardkugeln. Als nur eine von ihnen übrig bleibt, sind wir mit Pagel am Roulettetisch. Er spielt mit der Kugel, die nun an Fäden in die Höhe gezogen worden ist, ganz nach Belieben. Wie einen Luftballon jongliert er mit ihr in tänzerischer Eleganz. Doch dann erhebt sich die Kugel unerreichbar bis in den Bühnenhimmel und wird über der ländlichen Einöde zum Vollmond. Er scheint nun über dem Wald, den Pagel aus Billardstöcken auf die Drehbühne pflanzt. Am Ende wird er ihn wieder abholzen und sorgsam auf ordentliche Stapel legen.
Aus dem Spieler ist ein Arbeiter geworden. Doch wie? Diese Antwort bleibt Regisseur Luc Perceval mit seiner dreistündigen Inszenierung des 700 Seiten Romans von Hans Fallada schuldig. Das mag auch daran liegen, dass Parceval bei einigen Rollen die Grenze zur Überzeichnung und sogar zum Klamauk überschreiten lässt, um den Unterhaltungswert dieses langen Theaterabends zu steigern. Das stört den Ton der Inszenierung und trägt nicht zum Verständnis bei. An Sebastian Zimmlers Interpretation von Pagel liegt es nicht. Er ist überzeugend in jedem Moment. Haben die verdorbenen Charaktere, die ihn auf dem Land begegnen, so abschreckend gewirkt, dass sie zu seiner Läuterung geführt haben? Hat das Vorbild des ehrlichen, gradlinigen Studmann so viel Eindruck auf ihn gemacht? Man kann es nur ahnen. So hat Perceval zwar ein unterhaltsames Kaleidoskop der Verrohung und Vereinzelung in chaotischen Zeiten auf die Bühne gebracht, aber das Mitfühlen bleibt in den geschilderten Wirrungen auf der Strecke. So überträgt sich das Gefühl der Vereinzelung der Personen auch auf die Zuschauenden.
Birgit Schmalmack vom 14.2.24