Big Bang
Ohne Knalleffekte
Big Bang heißt das Stück und die Erwartungen an einen Knalleffekt sind geschürt. Doch Philippe Quesne unterläuft sie mit seiner Truppe Vivarium Studio 75 Minuten lang genüsslich. Zwanglos versammeln sich die Schauspieler zunächst zur Einstimmung um einen Tisch, lesen, hören Musik, zeichnen, summen mit, unterhalten sich. Dann erst geht es hinter die Bühne. Scheinbar beiläufig werden Materialien hereingetragen und ein Bild entwickelt aus dem nächsten. Zuerst beginnt sich die weiße Plastikplane zu bewegen. Haarige Wesen kriechen heraus. Der Anfang der Welt? Ein Lagerfeuer wird gemacht, aus Nebel, Ästen und einem roten Scheinwerfer. Langmähnige Urmenschen wärmen sich die Hände. Auf der anderen Bühnenseite widmet man sich prophylaktisch einem weiteren Element: Schlauchboote werden hereingetragen: Challenger heißen die gelb-blauen Plastikteile. Als die weiße Rückwand herabgelassen wird, wird sichtbar, warum: Der rückwärtige Bühneteil steht unter Wasser. Eine Insel wird gebaut. Raumfahrer in ihren futuristischen Anzügen betrachten einen langmähnigen Hippie im Hawaiihemd, wie er in einem der Schlauchboote liegt. Dabei ist der Skizzenblock nie weit. Immer wieder werden Momentaufnahmen festgehalten, als gäbe es weder Fotografie noch Film. Dann kommen grüne Männchen herein. Vor dem grünen Hintergrund sind sie fast unsichtbar. Die Greenscreen-Technik lässt die Akteure verschwinden. Nur die Schlauchboote bleiben als riesiger mahnender Berg übrig.
Eine Menschheitsgeschichte im Schnelldurchlauf setzt Quesne mit rätselbehafteten Bildern in Szene. Manchem Zuschauer blieb die Bedeutung des Gesehenen noch zu diffus. Die Beteiligung am anschließenden Publikumsgespräch war groß. Die Nachfragen nach dem Sinn lösten allerdings beim Regisseur nur Kopfschütteln aus. Ein wenig Arbeit müsse sich der Zuschauer auch selbst machen. Er hätte schließlich schon die Bilder geliefert. Auch die hartnäckige mit Bewunderung unterfütterte Nachfrage einer Studentin der Sommerakademie, dass Quesne ihr doch bitte die Bedeutung der letzten Szene verraten möge, wurde wortreich nicht beantwortet. Eine weitere Studentin versuchte gar eine akademisch formulierte, philosophisch-gesellschaftskritische Interpretation, die Quesne nur mit Schulterzucken quittieren konnte. So lieferte dieser Abend auch einen Einblick in die sich selbst genügende Kunstszene. Kommunikation mit dem Zuschauer findet ausschließlich über das Kunstwerk selbst statt. Publikumsgespräche nach herkömmlichem Muster haben da kaum einen zusätzlichen Erkenntniswert.
Birgit Schmalmack vom 23.8.10
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