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Aufzeichnungen aus der Unruhe
Fürs Leben zu klein

Ein Tisch und ein Stuhl in XXL-Größe stehen im Bühnenrund des Kellergewölbes. "Es regnet, als wenn es seit Weltenbeginn regnen würde." Der kleine Mann hockt unter dem riesigen Holztisch und blickt argwöhnisch nach oben in die Wolken. Nur zögerlich wagt er sich unter dem hölzernen Schutzdach hervor. In Weste und Hemd, das durch einen Ärmelschoner geschützt wird, umrundet der schmale Buchhalter seinen Arbeitsplatz. Das Leben scheint für den braven Außenseiter ein paar Nummern zu groß geraten zu sein. Während für seine Mitmenschen das Leben aus Fühlen bestehe, das sie mit ihrem Verstand zu ergründen suchten, würde es für ihn einzig aus Denken bestehen. Gefühle seien ihm dabei nur hinderlich. Selbst das meist besungene Gefühl, die Liebe, sieht er nur als Bürde und Demütigung an. "Wie ermüdend, unsere Existenz ganz und gar abhängig zu sehen von der Gefühlsbeziehung zu einem anderen Menschen!"
Mühsam erklimmt er seinen Arbeitsplatz. Nur auf dem Stuhl stehend kann er auf die Tischplatte blicken. Die alltäglichen Verrichtungen des Lebens ermüden ihn. Einzig die Wissenschaften geben ihm die Möglichkeiten über seinen Tellerrand zu blicken. Er klettert auf den Tisch. Für einen Moment schimmert Hoffnung durch, wenn er verkündet: "Ich bin so groß, wie das was ich sehe!" Durch eine Durchdringung der Gegenstände versucht er seiner Winzigkeit zu entkommen. Denn er würde so gerne vor dem fliehen, was er kennt, was er lebt, doch das kann er nicht. Denn dann müsste er sich seiner selbst entledigen. Dieser Buchhalter des Lebens zieht am Schluss seine desillusionierende Bilanz: Das Saldo des Lebens wird immer negativ sein.
Adolfo Assor gibt der Person des Buchhalters Soares aus Fernando Pessoas "Aufzeichnungen aus der Unruhe" eine so authentische Gestalt, dass die Überlegungen des kleinen Menschleins neben seinem zu groß gewordenen Leben stark berühren. Das Bühnenbild ist dabei in seiner Bildersprache so einfach wie überzeugend. Zusammen mit dem Gesamtkunstwerk, in das der Überzeugungskünstler seine Zuschauer im Kellergewölbe entführt, währt der Eindruck, den dieser Theaterabend hinterlässt, noch lange nach. Mehrere Fäden aus diesem Garn-Theater wird der Zuschauer mit nach Hause nehmen und nach und nach zum Knüpfen neuer Gedankennetze benutzen.
Birgit Schmalmack vom 3.8.10