Punkrock
Die Frage nach dem Warum seiner Tat steht nicht auf dem umfangreichen Fragebogen des Psychiaters. Der in die geschlossene Abteilung eingewiesene Amokläufer William (Sören Wunderlich) beantwortet sie dennoch: „Weil ich es konnte.“
Der schlaksige William, der seine soziale Ader gerne hinter schnell herausgesprudelten Sprüchen und Geschichten verbirgt, ist eines Tages mit einer Knarre in die Schule gekommen und hat ein Blutbad veranstaltet.
Auf der großen Durchgangstreppe seiner Highschool bleibt er einer unter vielen. Der Umgang zwischen den Schülern kurz vor ihrem Schulabschluss ist von pubertärem Gruppenverhalten geprägt. Wer coole Klamotten trägt, gut aussieht, gerne seine Stärke als muskulöser Macker oder sexy Weibchen demonstriert, hat gute Karten. Alle anderen sind zum Abschuss frei gegeben. Der intellektuelle Chadwick (Martin Wißner) mit der dicken Brille ebenso wie die dickliche Tanya (Gisa Flake). Auch der freundinlose William bekommt immer wieder einiges ab. Als die Neue, die hübsche Lilly (Julia Nachtmann) aus Cambrigde, in der er zunächst eine Seelenverwandte sieht, ihn ebenfalls abblitzen lässt und sich stattdessen mit Nicholas (Thorsten Hierse) trifft, ist er tief getroffen. Dann stirbt auch noch Williams Lieblingslehrer. Der nächste Bezugspunkt ist verloren. Als dann auch der Obersnacker Bennett (Aleksandar Radenkovic) ihn vor versammelter Mannschaft anmacht, steht sein Plan fest.
Das überwiegend junge Publikum im Schauspielhaus verfolgte das Geschehen auf der großen Bühne konzentriert. Der Wiedererkennungswert unter der Regie von Daniel Wahl war spürbar hoch. Das Stück von Stephen Simons liefert keine einfachen Lösungen. Er zeigt dagegen ein Bündel an Antworten, was Amokläufer zu ihrer Tat motiviert. Er führt vor, dass die sozialen Ausgrenzungsmechanismen der Gesellschaft, die sich in dem Gruppenverhalten der Jugendlichen spiegeln, schon Grund genug sind. Noch psychologischen Defekten zu suchen, erübrigt sich. Er stellt dagegen die beunruhigende These auf, dass jeder zum Amokläufer werden könnte. Somit ist eine Frage auf dem Fragebogen des Psychiaters für die Zuschauer nach dem Stück kaum klar zu beantworten: Kreuzen Sie bitte an: Fühlen Sie sich im Theater sicher?
Birgit Schmalmack vom 9.6.10
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