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L’Orfeo
Jenseits des Abgrunds
„Auf dieser Reise hilft Ihnen kein Ratgeber und kein Navi. Hier sind sie nur Sie selbst: Ein Rätsel!“ verspricht die süffisant lächelnde Reisebegleiterin (Charlotte Pfeiffer), die vom Bühnenrand immer wieder mit guten Tipps und Hinweisen bereit steht, während Orfeo seiner Euridice aus Liebe in das Reich der Toten nachreist.
Andreas Bode hat eine atemberaubende Reise angerichtet. Dabei bewegt sie sich räumlich kaum von der Stelle. Sie startet schon dort, wo sie auch aufhört. Orfeo kommt seiner Euridice nicht im Sonnenschein auf grünen Hügeln näher sondern in einer Endzeitwüste aus braunem, schmutzigem und leblosem Sand. Hier blüht nichts mehr außer der Musik und der Gefühle.
Belebend wirkt allerdings auf diese frühe Oper von Monteverdi der ungewohnt zwanglose und intensive Zugang zur Musik. Mit zeitgenössischen Gitarrenklängen angereichert scheint sie ganz aus der Gegenwart zu stammen. Nein, vielmehr scheinen sich die neuen Einflüsse so harmonisch in die alte Musikvorlage einzupassen, dass alles wie aus einem Guss erscheint. So kann eine Arie von Orfeo mal wie ein Torrerokampfgesang, eine Schlagerschnulze oder ein Countrysong klingen. Dabei verrät Bode das Werk in keiner Sekunde, sondern benutzt die neuen Klänge nur dazu, die Gefühle auf der Bühne noch näher an seine Zuschauer heran zu bringen. Was ihm hervorragend gelingt. Das Publikum dankte ihm und dem Ensemble mit donnerndem Applaus.
Das Ensemble Resonanz spielt mal im Liegen, mal auf den Rängen, mal verkehrt herum auf den Stühlen. Titus Engel als musikalischer Leiter ist ein genauso wichtiger darstellerischer Bestandteil der Inszenierung wie die Musiker.
Herausragend ist die darstellerische und sängerische Leistung von Catrin Kirchner als Orfeo. Mit ihrer wunderschönen Stimme und vielseitigen Interpretation wird sie zum Zentrum des Abends, der nach zwei Stunden ohne Pause ruhig gleich noch einmal von vorne beginnen könnte. So macht Oper Spaß.
Birgit Schmalmack vom 29.12.06