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Unten
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Der Wanderer Luka (Rik van Uffelen) ist ganz „Unten“, in einem Nachtasyl, angekommen. Hier wohnt er unter der Herrschaft des raffgierigen Vermieterpaares (Marion Breckwoldt und Jürgen Uter) mit lauter gestrandeten Gestalten zusammen, die ihre Menschlichkeit schon lange vergessen haben. Teilweise haben sie es in Alkohol ertränkt, teilweise wurde es ihnen ausgeprügelt. Aus ihrem Leben haben sie die Lehre gezogen, dass nur die ganz Harten durchkommen. Menschlichkeit wird leicht als Schwäche ausgelegt. So betrügen, schlagen, beschimpfen sie sich alle untereinander. Keiner traut niemandem. Auch die Liebe hat es unter diesen Bedingungen sehr schwer. Hat der Kleinganove Wasska Pepel (Kai Schumann) auch ein Auge auf die Schwester der Vermieterin geworfen und würde so gerne mit ihr von hier einfach verschwinden, so muss sie ihm gestehen: „Dann müsste ich dir vertrauen. Das kann ich nicht.“ Schließlich hat ihr ganzes Leben ihr nur das Gegenteil bewiesen. Doch Luka versteht es, ihre Fantasie zu einem Weg aus ihrem Schlamassel heraus anzuregen. Nur zu gerne wollen sie ihm glauben, bevor sie die nächste Wodkaflasche herunterkippen, um wieder in der gewohnten Lethargie zu versinken. Selbst der Alkoholiker und Redenschwinger Satin (Ernst Stötzner) hat ihn begriffen: Die Welt braucht tatsächlich Menschen, denn immer mal wieder vollbringt einer von ihnen eine große Leistung, die die Gesellschaft ein Stückchen voranbringt.
Vor der Pause war in der leeren weißen Halle auf der Bühne (Johannes Schütz) ein Bettenlager zu sehen. Nach dem zweiten Akt verwandelte sie sich zu einem Gestrüpphaufen aus abgestorbenen, alten Zweigen und Ästen. Die Schauspieler versuchten auf diesem schwankenden Untergrund Halt zu finden, brachen aber immer wieder ein. Wie diese toten Bäume waren auch sie abgeschnitten von ihrem Lebenssaft und nur verdorrt. Ein sehr überzeugendes, stimmiges Bild hatte der Bühnenbildner gefunden.
Jürgen Gosch hat mit der Neuübertragung des Originaltextes von Maxim Gorki eine wunderbar realistische, einfühlsame Inszenierung geschaffen, die aus den Rollen Charaktere werden lässt, die den Zuschauern innerhalb der fast dreieinhalbstündigen Vorführung ans Herz wachsen. Sie belohnten die grandiose schauspielerische Leistung des gesamten Ensembles mit nicht enden wollenden Applaus. Immer wieder holten sie die Darsteller auf die Bühne.
Birgit Schmalmack vom 23.5.06