Aus wenig viel machen
Das ist das Motto von Lena Brücker (Saskia Fischer), die der Autor Uwe Timm in seinem Hamburger Roman exklusiv als die Entdeckerin der Currywurst enttarnt. Die zupackende Frau, die mit Herz, Schnauze, Organisations- und Improvisationstalent aus der Not eine Tugend zu machen verstand, erhob den Mangel zu einem Kult. In Ermangelung anderer Zutaten schuf sie aus Ketchup, Curry und darmlosen Wurststückchen „die Currywurst“. Das Theaterpublikum im Ernst-Deutsch-Theater konnte das Produkt ihrer Eingebung gleich vor Ort testen. Fernsehkoch Tim Mälzer hatte eine Imbissbude direkt vor dem Theater aufstellen lassen, die die Wurst nach Originalrezept verkosten ließ. So konnte die Wissenslücke, wer dieses kulinarische Kleinod des Fast-Foods erdacht hatte, mit allen Sinnen geschlossen werden.
„Die Entdeckung der Currywurst“ erzählt von einer dramatischen Zeit in Deutschland: von den letzten Kriegsjahren, als der Krieg schon verloren war und die Engländer kurz vor Hamburg standen. Und sie erzählt von einer Liebesgeschichte, die sich so nur in diesen Kriegstagen abspielen konnte. Die gestandene Frau, Ehefrau und zweifache Mutter Lena versteckt einen um 20 Jahre jüngeren Deserteur (Tobias Krämer) bei sich in ihrer Wohnung, die sie alleine bewohnt, seit die beiden Männer dem Vaterland an der Front dienen. Lena erlebt eine heißblütige Affäre mit dem jungen Hermann Bremer. Sie verschweigt ihrem Freund das Kriegsende, um die Zeit mit ihm noch ein wenig länger genießen zu können. Doch auch diese erschwindelten Tage haben ein Ende. Als Bremer wieder entschwunden ist, kommt sie als kleinem Ausgleich zu ihrer Currywurst, die zu einem Verkaufshit an ihrem Imbissstand wird und ihr dreißig Jahre lang ein sicheres Auskommen beschert.
Regisseur Johannes Kaetzler erzählt Schritt für Schritt die Geschichte des Romans von Timm auf der Bühne nach. Er lässt auch die Rahmengeschichte, wie der Autor Frau Brücken ausfindig macht, nicht aus. Das führt dazu, dass häufiger Szenenwechsel angesagt ist. Immer wieder wechseln nach kurzen Sequenzen die Personen und Spielorte in der immer gleichen Kulisse eines schlichten, weißen Raumes von Designer Peter Schmidt. Zusammen gehalten wird diese durchaus kurzweilige, aber auf Dauer doch etwas unbeholfen wirkende Erzählweise von Saskia Fischer, die mit ihrer Präsenz ihrer Figur Gefühl und Seele gibt.
Nicht etwa die Currywurst steht hier im Mittelpunkt, wie der Titel vermuten ließe sondern diese Frau, die bodenständig und menschlich bleibt, wo andere nur markige Sprüche und zackige Grußformeln kennen. Sie verfolgt dabei weniger idealistische Ziele als vielmehr ihre eigenen. Sie bliebt sich selber treu und hat auch nach dem Krieg keine Wendehalsakrobatik nötig. Die Geschichte dieser kernigen Frau macht diesen Theaterabend interessant. Die Rahmengeschichte blieb daneben trotz der ausgefeilten Personenzeichnung nur amüsantes Beiwerk. Der Freude des Publikums tat das keinen Abbruch, denn Kaetzler würzte den Abend mit vielen witzigen Einfällen. Besonders Anja Topf in ihren acht Nebenrollen sorgte mit hanseatisch überzeichnetem Charme für etliche Lacher.
Birgit Schmalmack vom 25.4.06