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Polyzentral
Polyzentral bot dieses Jahr vielfältige Eindrücke aus dem geographischen Gebiet von der Türkei bis zur Wüste Gobi. Das usbekische Theatre Eski Masjid lieferte einen farbenprächtigen Genuss für die Sinne. Bunte Gewänder; Musik, Tanz, Gesang und eine Geschichte tiefgreifender Gefühle wurden auf einem Teppich aus hellen, sandfarbenen Stoff ausgebreitet. Auch wer die Geschichte nicht verstand, konnte sich ohne Schwierigkeiten an dem abwechselungsreichen Treiben erfreuen. Regisseur Khodajakuly zeichnet neben dieser auch für die Produktion „King Lear“ aus Turkmenistan verantwortlich und bewies damit seine Vielseitigkeit: Hier stand ein Mann, Anna Mele, ganz alleine auf der Bühne und erzählte die Geschichte des in den Wahnsinn getriebenen Königs. Trotz seines ausdruckstarken, symbolreichen Spiels hätte hier das Verständnis des Textes den Genuss noch weiter steigern können. So blieb die Freude an der Ideenvielfalt von Regie und Darsteller.
Das türkische Theater 5. Sokak Tiyatrosu bescherte einen äußerst beeindruckenden Abend mit dem Titel „Ashura“. Sie feierten ein wunderbar komponiertes Fest der Trauer und der Versöhnung. In den verschiedenen Sprachen, die in der Türkei gesprochen werden, sangen sie Lieder, die von Liebe, Vertreibung, Verlust und Freude handeln. Wie Wanderer zwischen den Welten laufen sie in schwarzen Gewändern durch das Bühnenviereck. Barfuss sind sie auf der Suche nach einem Platz zum Leben, Musizieren und Beisammensein. Doch immer müssen sie weiter und nehmen nur ihren Stuhl und ihr Instrument mit. Ihre Inszenierung zeugt von beindruckend hoher Qualität. Die Botschaft des Abends wird deutlich: Immer weiter musste die kulturelle Vielfalt der Türkei verstummen. Die Einsprachendoktrin Atatürks forderte ihren Tribut.
Das Projekt „Tanz der Derwische“ war bemerkenswert: Im ersten Teil tanzt der Mevlevi-Orden den traditionell überlieferten Tanz der Derwische: eine Stunde getanztes Gebet nach einem streng vorgeschriebenen Ritual. Danach zeigt Ziya Azazi in seinem „Derwish in progress“, wozu er die Technik des Drehtanzes weiter entwickelte. Was vorher Ruhe, Gleichförmigkeit und Versunkenheit war, wurde nun zu Schnelligkeit, Abwechselung, Akrobatik, Tempo und Kreativität. Der Tänzer beeindruckt mit furiosem Schwung, der die Zuschauer erst zu atemlosem Staunen und dann zu begeistertem Applaus hinriss.
Das Künstlerkollektiv „Roter Traktor“ zeigte am Schluss des Festivals eine Performance aus sehr unterschiedlichen Elementen. Um eine Jurte versammelte sich zunächst das Publikum. Die Künstlerin Almagul Menlibaeva zeigte dann vier Kurfilme, die in hochverdichteter Form von der Rolle der Frau in Kasachstan zwischen Moderne, Religion und Tradition erzählte. Wunderschöne, symbolträchtige Bilder schuf sie mit den weiblichen Darstellerinnen, die ihren nackten Körper in immer wieder neue Tücher schlangen, die ihnen Pracht und Würde brachten, aber auch Bewegungsmöglichkeit, Identität und Natürlichkeit raubten. Danach inszenierte der Leiter des Kollektivs und sein Assistent ein schamanisches Ritual, das sie künstlerisch verfremdeten. Schließlich wurde gemeinsam gegessen und getrunken.
Festivalleiter hat dieses Mal ein besonders anspruchsvolles Programm zusammengestellt. Besonders die Produktion aus der Türkei und dem Iran zeugten von überragender künstlerischer Qualität. Die exzellenten Übersetzungen trugen bei diesen Produktionen dazu bei, dass das Verständnis auch die inhaltliche Ebene mit einschließen konnte.
Birgit Schmalmack vom 27.3.06