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Jenseits aller Schubladen



Eine alte Schreibmaschine klackert. Ein Sound, den man fast schon nicht mehr erkennt. In die Musik von Nicholas Morales, Howard Bridges und Thomas Yang mischt sich das Klacken von Tasten. Es braucht eine Weile, bis man das Geräusch erkennt. Alte Schreibmaschinen sind aus der Mode gekommen. Doch Nail Doğan sitzt in seiner Enklave, die aus karierten Plastikkoffertaschen genäht ist, genau vor so einem alten Schreibgerät, von vielen Flaschen und noch mehr Zigarettenqualm umgeben. Doch er ist zunächst weit weg vom Geschehen auf der Bühne. Sein Zelt steht im Foyer und ist nur über die Livekamera zu sehen, deren Projektion auf die Bühnenrückwand übertragen wird. Auf Bühne dagegen agieren zwei Personen. Ebenso vereinzelt, jede*r (Solomia Kushnir, Shahin Shekho) in ihrem eigenen Areal des Bühnenraums gefangen. Sie stecken alle fest, jeder in seinem Gedankenraum. Der eine sucht mit Worten, die er aufs Papier bringt, seine Situation zu beschreiben, die andere wünscht sich, dass endlich ihre Vögel ankommen, die sie sich so sehnlich wünscht. Und der dritte träumt vom Fliegen, sucht aber eigentlich einen Platz zum Landen, zum Ankommen. Jede*r der drei Schauspieler*innen nimmt mit dem eindringlichen Spiel, das so viel Dinglichkeit versprüht, sofort gefangen. Sie sind alle in jedem Moment ihrer Auftritte so glaubwürdig, dass man sich ihrer Präsenz nicht entziehen kann. Dabei liefern sie keine einfach zu konsumierende Kommunikations-Konventions-Ware. Nein, ganz im Gegenteil: Bewusst geben sie Rätsel auf. Denn in Schubladen gesteckt wurden sie von der Mehrheitsgesellschaft schon allzu oft. Diese Schubladen im Kopf sind das Problem, weshalb sie es so schwer haben hier anzukommen. Das wird sehr deutlich, als der Autor in seinem Eremiten-Zelt Besuch bekommt. Eine deutsche, wohlmeinende Theaterfrau (Marina Wandruszka) kommt ihn besuchen und beschwert sich über seinen so schwer zu verstehenden Text. Das sei nicht das, was sie bestellt habe. Bitte etwas über die Flucht, das zu Herzen gehe. Nur so etwas wollen die Leute sehen. Doch damit gibt sich der Autor Nail Doğan in seinem Stück „Ziegenkäse in Streichholzschachteln“ zum Glück nicht zufrieden. Unter der Regie von Samieh Jabbarin mutet das Kollektiv „All das“ dem Publikum nicht geringes als Kunst zu. Zu Recht.

Birgit Schmalmack vom 6.11.21