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Gemeinschaft ohne Schutzschild

GEMeinsam Fotografie: Steve Thomas Grafik: Studio Nonsens



Die Tänzer:innen sind nur verschwommen zu erkennen. Noch bewegen sie sich hinter einer durchsichtigen Plastikplane, die die Bühne der K6 begrenzt. Auf diesen transparenten Vorhang werden Bilder von Menschenansammlungen geworfen, Ein direkter Austausch bleibt eine Illusion. Mit diesem sprechenden Bild startet "GEMeinsam", die neue Produktion der international arbeiten Hamburger Choreographin Jessica Nupen auf Kampnagel. Doch schon bald fällt die vordere Plan zu Boden. Die direkte Begegnung wird möglich. Nupen zeigt hier eine Arbeit, in die die Erfahrungen der Coronazeit mit eingeflossen sind. Waren wir da nicht alle hinter Glasscheiben, Plastikplanen und Bildschirmen abgeschirmt und oft auf die projizierten Bilder voneinander angewiesen? Eine Zeit, in der die Einsamkeit, die sowieso ein Kennzeichen unserer individualistischen, globalisierten und flexiblen Lebenswirklichkeit geworden ist, noch verstärkt hat. Wo bleibt da der Wert vom Gemeinschaft und wir kann er sich ausdrücken? Diesen Fragen geht sie zusammen mit ihrem elfköpfigen Performance-Team nach. Aus den jeweiligen Blickwinkeln der international zusammengestellten Mitwirkenden sind so Geschichten des Miteinanders, der Ausgrenzung, des Außenseiterseins, der Annäherung, der Anbiederung, der Vereinzelung und der Solidarität entstanden. Wenn sich alle zu einem Berg aus Leibern aufschichten und sich so gegenseitig Halt und Wärme geben, aber auch zur Belastung werden können. Wenn sich alle einig sind, welche Choreographie jetzt die Richtige ist, nur eine will unbedingt aus der Reihe tanzen. Wenn jeder der Performer:innen einzeln im Raum an seiner eigenen kleinen Showauftritt bastelt und absolut kein Gemeinsamens entstehen will. Dann wird auch die problematische Seite der Gemeinschaft thematisiert, die eigene Interessen negiert, um der gemeinsamen Zielrichtung nicht zu schaden. Da windet sich dann einer der Performenden einsam auf dem Boden und beklagt sich: "I am so lonely". Sofort kommen vier andere an und drängen sich ungefragt mit "We are your friends" in einem Dauermantra auf. Mit gespielter Herzlichkeit und überbordender Vereinnahmung nehmen sie den sich Wehrenden in ihre Mitte, werfen sich ihn über die Schulter und schleifen ihn einfach mit.
Die Plastikbegrenzung ist zwar einfernt, aber die Ablenkung und Bilderflut bleibt. Flirrende Bilder im Dauerstrom werden weiter auf den weich fallenden weißen Fallschirmstoff im Bühnenhintergrund, den aufgeblasenen Ballonwürfel und den LED-Screen projiziert. Doch zum Schluss sind auch diese herabgezerrt, in sich zusammengefallen oder vermitteln nur noch Text-Botschaften mit einfachen Slogans. Als einziger, der wahrhaft eine Gemeinschaft zu erzeugen vermag, ist der Live- Kontakt als Begegnungsmöglichkeit geblieben.
Zur Premiere spendete das Publikum in der gut gefüllten riesigen K6 lang anhaltenden Applaus. Sicher nicht nur, weil kurz vor Ende der südafrikanische Tänzer die "Germans" noch einmal mit seiner Darbietung angestachelt hatte, endlich einmal aus sich herauszukommen, und zu pfeifen, zu trillern und zu klatschen.
Birgit Schmalmack vom 31.10.22