Bewegender Opernabend
Die Künstler von gestern sind die Instagramer:innen von heute. Sie erschaffen keine Kunst sondern sie sind selbst die Kunstwerke. Mit möglichst vielen guten Stories buhlen sie um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, zählbar in Followerzahlen. Regisseurin Susan Oberacker verlegt so konsequent und überraschend schlüssig die Oper La Boheme von Puccini aus dem aus der Pariser Künstlerkommune des 18. in den Nachtclub Momus des 21.Jahrhunderts, in dem die vier jungen Leute ein- und aus gehen und hier die Beiträge für ihre Insta-Story kreieren. So füllt die Liebesgeschichte, die sich zwischen dem Instagramer Rudolfo und der Studentin und Teilzeit-Garderobenfrau Mimi (Rocio Reyes) abspielt, auch perfekt die Storyline der Instagramer:innen (Nora Kazemieh und Aline Lettow). Zwischen Clubsaal (Foyer), roten Teppich im Eingangsbereich (neben den Zuschauerreihen) und der Garderobe (Bühne) entspinnt sich nun die große Liebe voll Herz-Schmerz. Voll im Retrotrend begeistern sich diese Vertreter der Generation Digital Natives aber nicht für Techno sondern für Swing. Das kleine dreiköpfige Kammerorchester unter der Leitung von Amy Brinkman-Davis schafft dabei wunderbar sanfte und zarte Übergänge zwischen der Musik Puccinis und eingängigen Swingsongs. Inklusive eines Tanzkurses direkt vor der Pause, denn in dieser ist auch das Publikum eingeladen in den Club, zu Disko lauter Swingtanzmusik ist bald das ganze Foyer voll tanzender Zuschauer:innen.
Die Begeisterung des Publikums über diesen ungewöhnlichen und zeitgemäßen Zugriff auf den Opernstoff ist überall zu spüren. Der bis auf den letzten Platz besetzte Saal genießt den schwungvollen Operntheaterabend. Doch auch hier bereitet der Tod Mimis und Rudolfos grenzenloser Liebe jäh ein Ende. Doch deutet im Momus ihr sich stetig verstärkender Husten nicht wie im Original auf die Tuberkulose sondern auf diesen neuartigen Virus aus China hin. Was die Instagramer:innen sogleich zur Vermarktung eines neuen Produktes ausnutzen: "Ist diese Flasche nicht schick? Schützt euch alle", werben sie gemeinsam für ein Desinfektionsspray. Der Tod Mimis ist hier kurz und fast schmerzlos. Schließlich soll er der Partylaune nicht dauerhaft einen Abbruch bereiten. Das würde sich schließlich nicht gut verkaufen.
Wie stets im Opernloft: Die auf neunzig Minuten gekürzte Fassung macht zwar Abstriche in der Länge aber nicht in der musikalischen Qualität. Das kleine Orchester beherrscht virtuos sowohl das klassische wie das Swing Repertoire. Unter den Sänger:innen, die allesamt toll singen und spielen können, ragt der Tenor (Songyan He) mit seinem schmelzenden Timbre besonders heraus. Ein insgesamt sehr vergnüglicher und im wahrsten Sinne bewegender Opernabend vor schönster Elbkulisse.
Birgit Schmalmack vom 13.12.22