Textversion
Sie sind hier: Startseite

Lachen gewinnt

Bunker Slam


Im Club Übel und Gefährlich auf dem Heiligengeistfeld steht die härteste Arena der Stadt. Doch obwohl das Blut schon auf dem Screen vom Bunker-Slam-Logo tropft, wird hier nur mit Worten gefochten. Poetry Slamer aus ganz Deutschland sind angereist. Wie der gut sortierte Büchertisch beweist, allesamt Profis. Natürlich darf in einem Club der DJ nicht fehlen. Daher legt DJ Moritz zur richtigen Einstimmung Musik auf den Plattenteller. Die Hütte ist voll, der Andrang ist groß, Sitzplätze auf Stühlen gibt es schon lange nicht mehr, bald ist auch jeder Treppenaufgang, jeder Vorsprung und dann jeder freie Platz auf dem Boden besetzt.
Zur Triumphfanfare des Bunker-Slams kommt Moderator David Friedrich herein. Er sieht seine Aufgabe nicht darin, sich in den Vordergrund zu drängen, nicht mal darin die Regeln eines Slams zu erklären, nein, er überbrückt mit unaufdringlichem Gute-Laune-Geplaudere die Zeit zwischen den Auftritten der Hauptperformer dieses Abends, lässt sie gut dastehen und bereitet Ihnen einen guten Start in ihre sechs Minuten Performance. Zwei Runden à vier Poet:innen mit anschließenden Finale. Zur Einstimmung legt der amtierende Jahresmeister ein paar Kostproben seines Könnens vor. Außer Konkurrenz und mit Gitarre denkt Flori Wintels aus Wien mit viel gekonnter Selbstironie über den Sinn des Lebens nach.
Die Bandbreite der Themen ist so groß wie der Umkreis, aus dem Poet:innen angereist sind. Aus Düsseldorf, Bargteheide, Leipzig, Kiel, Bochum und München sind sie gekommen und beschäftigen sich in einer wildem Mischung mal mit ernsten Anliegen und mal mit purem Quatsch, aber immer mit viel Sprachwitz garniert. So schlüpft Alex Burghard mit seinem Text in die Haut des Bayernkönig Ludwig des Zweiten, was selbst den seit 15 Jahren im Slamgschäft befindlichen Friedrich zu überraschen vermag. Celina Seemann entwirft zehn total absurde Joint-Venture-Ideen zur Optimierung der Zielgruppen von Geschäften. Zum Beispiel für Tauch- und Rauchläden, da beide Kundenstämme langfristig auf Sauerstoff angewiesen seien.
Doch die Generation der Poetry Slamer ist sich durchaus auch der Herausforderungen der heutigen Zeit bewusst, wie andere vorgetragene Texte belegen. Marvin Weinstein entschuldigt sich bei seinem Auftritt wortreich für seine fett- und zuckerlastiegen Crispy-Passion, die Gründe sieht er in seiner schweren Kindheit, in der er mit Müslis traktiert wurde. Die Frauen unter den Performer:innen wagen mehr Ernsthaftigkeit: Shafia Khawaja legt die sexistischen Verstrickungen in der Familie und der Gesellschaft mit ihrem Text über das Spiel, in dem die Frauen schon von vornherein verloren haben, offen. Und Rebekka Heims prangert die Diskriminierung ihrer monatlichen Menstruationsschmerzen im Gesundheitssystem an, bei der sie immer wieder mit der Frage konfrontiert werde, ob das nicht psychosomatisch sei. Doch gewinnen wird die erste Runde ein Mann, der mit dieser selbstreflexiven Attitüde eher spielt als sie ernst zu meinen: Marcel Schneuer bekommt von den fünf Jury-Mitgliedern aus dem Publikum die meisten Punkte für seinen Text, in dem er so tu, als würde er sich über das Mannsein ernsthaft Gedanken machen. Und auch in der zweite Runde macht ein Mann das Rennen, einfach weil er die Lacher auf seiner Seite hat. Hinnerk Köhn ist in Hamburg ein guter Bekannter auf den Bühnen dieser Stadt. Dass er hier nicht ganz auf der richtigen steht, scheint die Jury nicht zu stören: in seiner überaus witzigen Stehgreif-Comedy-Performance dauert die Ankündigung seiner Poetry circa zehnmal länger als sein ultrakurzer Alibitext über die Unfähigkeit Einzuparken. Klar, dieser Mann ist ein Vollprofi, schließlich moderiert er ansonsten im Rahmen von "Kampf der Künste" das Format "Stand Up Comedy".
Beim Finale eines jeden Bunker-Slams liegt die Entscheidung beim Publikum. Normalerweise ein Moment, in dem Friedrich das letzte Wort hat. Dieses Mal bezieht er aber alle aufgrund des Platzmangels mit auf der Bühne Sitzenden mit ein: Sichtlich überstimmt wird damit in einer knappen Entscheidung der Hamburger Hinnerk Köhn zum heutigen Sieger und damit Hantel-Gewinner gekürt. Die härteste Arena der Stadt hat sich damit für den Kandidaten mit Heimvorteil, zwar der höchsten Comedy- aber leider der geringsten Poetry-Rate entschieden. Da blutet dann doch ein klein wenig das Poetry-Herz.
Birgit Schmalmack vom 29.12.22