Unter der Asche der Vergangenheit
"Guten Abend zu unserem dritten Workshop zum Thema Familienaufstellung." So begrüßt einer der Protagonisten die verdutzten Zuschauer im Ernst Deutsch Theater. Schnell finden sich ein paar Freiwillige, die ihre Familienkonstellation auf der Bühne nachspüren wollen. Und wir sind mitten drinne in Ibsens Gespenster.
Ein schöner großbürgerlicher Salon mit Panoramafenstern in die meist regenverhangenen Berge. Pastor Manders Christian Nickel kommt. Er predigt von Pflicht zur Aufrechterhaltung der moralischen Ordnung. Doch Frau Alving (Katharina Abt) konfrontiert ihn mit der Wahrheit. Ihre von ihm auferlegte Pflichterfüllung als Ehefrau hat sie an ihren äußerst umtriebigen, untreuen Ehemann gekettet und dazu verdonnert den Kampf um den Erhalt ihres guten Rufes unermüdlich auszutragen und letztlich ihren Sohn Osvald (Janek Maudrich) wegzugeben, als er anfing Fragen zu stellen. Nun ist ihr Sohn wieder da: Ein gebrochener Mann, dem sie sein Recht auf Wahrheit nicht länger verweigern kann. Das hübsche lebensstarke Zimmermädchen Regina (Helen Barke), in das er sich verliebt hat, ist in Wirklichkeit seine uneheliche Halbschwester. Doch es ist zu spät: Diese Wahrheit rettet niemanden mehr vor den Gespenstern der Vergangenheit.
Nach der Pause ist die schöne Fassade der einst so repräsentativen Kammerratsvilla auseinander gebrochen. Verkohlt wie das mittlerweile abgebrannte Asylheim stehen die Restbestände des Salons auf der Bühne, zwischen ihnen hocken Frau Alving und ihr Sohn Oswald verloren auf dem letzten Möbelstück, die zerknüllten Restbestände ihrer einstigen Wünsche, Ziele und Ideale weinend betrachtend.
Die bigotte Ordnung der protestantischen Gesellschaft mit ihrer Verdrängungsbemühungen alles vermeintlich Sündigen dekodiert Henrik Ibsen in seinem düsteren Werk „Gespenster“ sehr genau. Es erscheint wie ein Lehrstück zu den Thesen Freuds. Christoph Tomanek, arbeitet in seiner Inszenierung sehr werktreu. Er bebildert die Szenen psychologisch genau und lässt seinen versierten Schauspielern viel Raum um ihre Charaktere auszumalen. Hier bleiben wenig Fragen offen. Da bleibt auch der eruptive Ausbruchsversuch Osvalds, wenn er die schwarzen Wände besprüht, dann die Tapeten herunterreißt und wie von Sinnen in den schwarzen Papierfetzen herumtollt, nur eine kurzfristige Aufwallung. Das ist bestes psychologisches Schauspielerkammerspiel auf hohem Niveau, nicht mehr und nicht weniger.
Birgit Schmalmack vom 26.9.22