Lust am Scheitern



„Ich habe drei Probleme: den Kapitalismus, das Patriarchat und warum die Kunst es nicht schafft, uns zu retten.“ Passiver Widerstand sheint seine Methode zu sein, dagegen Position zu beziiehen. Er widersetzt sich dem ökomenischen Leistungsdruck auf seine Weise: Uneffektiver kann man nicht mehr die Bühne überqueren als er. Das Scheitern interessiert ihn mehr als das Erreichen eines Zieles. Ganz im Gegenteil: Wenn der Mann nur die Bierkiste, die ihm als Sitzgelegenheit dient, an die richtige Position der Bühne bewegt oder anschließend die Gitarre zu diesem Platz befördert, geht es ihm nie ums Ergebnis sondern um das Tun im Moment. Dafür hat er sich passend ausstaffiert: Über seinem schhlabberigem Männerstrampler trägt er eine Rocker-Lederfransenjacke, mit er den großen Auftritt zelebrieren kann. Oder zumindest so tun kann als ob.
Frédérick Gravel geht in seiner Soloshow „ Fear & Greed“ seinen Emotionen nach. Ganz alleine ist er auf der Bühne, scheinbar verlassen von aller Welt, vielleicht der letzte Überlebende. So spielt er ganz für sich alleine. So scheint er zumindest zunächst. Bis er den schwarzen Vorhang hinter sich aufzieht. Da wird klar: die dröhnende Rockmusik, die seine emotionale Spurensuche begleitet, kommt nicht vom Band sondern von der Liveband auf dem erhöhten Bühnenpodest. Dennoch bleibt Gravel alleine. Es gibt keine Interaktion zwischen ihm und den drei Musikern. Auch wenn er den Verstärker in seine Gitarre einstöpselt, bleibt er im zarten SingerSongwriter-Modus und wird fast komplett von der Band übertönt. Dennoch wirkte es kurz so, als wenn er in seinen tänzerischen Bewegungen zum Befreiungsschlag ansetzen könnte, die die expressive Musik vorgibt. Die Fransen fliegen und Gravel springt über die Bühne. Doch kurz darauf ist er wieder ganz bei sich, war es eigentlich immer. Die Musik war nur das Ventil, nicht der Anstoß für eine Veränderung.Allerhöchstens in eine Richtung, die alles andere als eine Befreiung ist: Als er zum Schluss mit freiem Oberkörper in starren Bewegungsmuster um sich selbst kreist, wirkt er wie ferngesteuert, halb Mensch, halb Maschine. So ist sein letzter Song mit der Computerstimme schon nicht mehr von dieser Welt.
Gravel liefert in seiner Tanz-Theater-Musik-Perrformance keine stringente Geschichte sondern eine Reise durch verschiedene Gefühlszustände. Er lässt dabei bewusst viele Interpretationsspielräume bewusst offen und Rätselhaftes, Gebrochenes, Fragezeichen zu. Seine zarte Performance steht dabei im spannenden Kontrast zu der expressiven lauten Rockmusik und stärkt den Eindruck seiner Verlorenheit umso mehr. Eine interessante Arbeit eines Mannes, der sich ganz offen und unbarmherzig seinem eigenen Scheitern, seiner Verletzlichkeit und seinen Unzulänglichkeiten stellt.

Birgit Schmalmack vom 8.8.22




Fear and Greed, Tanz im August Nans Bortuzzo


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GÖKSU KUNAK An(a)kara, Sophiensäle
Boca Cova, Sophiensäle