Lust an der Unterwerfung
Die Verantwortung abzugeben, sich einfach zu unterwerfen, andere für entscheiden zu lassen, das ist das eigentliche Thema von „Revolution“, die also keine ist, sondern eher genau das Gegenteil. Kein Aufstand der Widerständigen sondern eine hingebungsvolle Akzeptanz der Unterlegenheit. Es kann so bequem sein, alle Entscheidungen von sich zu weisen und so die Schuld- und Verantwortungsfrage an jemand anderen zu delegieren. Genau in diese Lage kommt Michail German, der an der Universität in Moskau Architekturgeschichte lehrt. Es gerät in die Fänge einer mafiösen Untergrundorganisation, die als Männergeheimbund die Politik des Landes lenkt, und ist erstaunlich schnell bereit sich ihnen anzuschließen. Seine Skrupel hat er innerhalb von wenigen Minuten beiseite gelegt. So ist die erste Mitwirkung an dem Mord eines Abtrünnigen erledigt und Michail hat damit die Bedingungen akzeptiert. Die Boni lassen nicht auf sich warten. Ein teures Auto steht vor der Tür, der Uni-Rektor-Posten gleich dazu. So angenehm kann die Unterwerfung sein.
Daniel Hoevels macht die Verrenkungen, die er dafür hinlegen muss, weniger durch seine Äußerungen und Handlungen als vielmehr durch seine Körpersprache deutlich. Er windet sich krampfhaft wie ein Aal mit nervösen Nervenstörungen durch seine neue Stellung in der russischen Gesellschaft. Einerseits geschmeichelt, weil er auserwählt worden ist, und andererseits ahnend, dass auch er jederzeit in Ungnade fallen könnte. Er wird von diesem ausgeklügelten System der Macht aus Gewaltandrohung und Verlockung in gefährlicher schwebender Höhe wie auf einem schwankenden Seil gehalten. Seltsam mutet es an, dass seine Lust an der Unterwerfung so groß ist, dass sie wie mit einem Fingerschnipsen passiert. Gegenwehr, Widerstand, der regt sich bei ihm erst sehr viel später, als sein neuer Chef (Ernst Stötzner) auch die Aufgabe seiner Freundin (Sandra Gerling ) verlangt. Sie ist der einzig echte Mensch in diesem Staffagenspiel der Macht. Kurzes Widersetzen, dann ist auch diese Frage geklärt. Doch nach der Pause gibt es eine Szene, in der er endlich die Gefolgschaft verweigert: Als er die Bettpfanne seines Chefs austrinken soll, wirft er sie quer durchs Zimmer. Mit der Konsequenz: Er wird noch einmal befördert. Womit auch die Willkürlichkeit des Systems bewiesen wäre, was es nicht weniger unheimlich macht.
Die Romanadaption "Revolution“ des belarussischen Autors und Politikwissenschaftlers Viktor Martinowitsch spielt im Moskau Mitte der 2000er Jahre. In der Inszenierung von Dušan David Pařízek werden mit Overhead-Projektoren die Menschen zu Schatten ihrer selbst. Auf die karge Sperrholzbühne-Kasten, deren Wände nach und nach auseinander fallen, werden die benötigen Kulissenzutaten projiziert. Pařízek balanciert in seiner Umsetzung zwischen blutigem Polit-Thriller und klamaukiger Groteske. Ein echter Schrecken will sich nicht einstellen, auch ein Mitleiden, eine Berührung oder Läuterung vermeidet er konsequent. Schnelle Lehren bietet er nicht an. Auch einfachen Parallelen zu heutigen Entwicklungen im heutigen Russland geht er aus dem Weg, indem er jeder Schnellschusserkenntnis einen Zottelbart umhängt. Diese tragen die drei Schergen (Yorck Dippe, Paul Herwig, Markus John) des Chefs mal unterm Kinn, mal am vorderen Haaransatz und mal als Irokesenkamm in der Mitte des Kopfes. Ebenso beendet er jedes eventuelle Erschauern mit einem mehr oder weniger platten Joke. Pařízek will sich anscheinend nicht mit diesem aktuell so passenden Stoff vor irgendeinen Karren spannen lassen.
So viel wird deutlich: Man macht sich dreckig, wenn man sich mit den mafiösen Drahtziehern einlässt. Michail ist schnell über und über mit Blut, Wasser und Milch besudelt. Doch am Ende trägt er einen feinen schwarzen Anzug mit weißem Hemd. Jetzt hat er eine Position erreicht, in der er andere die Drecksarbeit machen lassen wird. So geht das Spiel um Macht und Unterwerfung weiter. Der Mensch ist nicht gut, er ist bequem. Das ist die Erkenntnis dieses Abends. Eine, die wenig Hoffnung auf Aufklärung und Verbesserung macht.
Birgit Schmalmack vom 23.5.22
Zur Kritik von
nachtkritik |
Abendblatt |
SZ |