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Marquise von O.
Der Schatten auf dem Gedächtnis
Schwarz ist die Bühne, nur eine Stimme ist zu hören: Von einer überfallenden Rotte, einem Feuer und einem Retter ist die Rede. Erst ein zarter Lichtschein, dann eine Kerze lassen Schemen einer mit Schleier verhüllten Frau erkennen. Erst nach und nach wird der Schleier über ihrer Geschichte und ihrem Gesicht gelüftet. Nur zögerlich erlaubt sie ihrem Gedächtnis die Erinnerung an die Geschehnisse, die sie vor sich und der Welt geheim zu halten suchte.
Eine unerklärliche Schwangerschaft verbannt diese Frau aus der Gesellschaft. Sie fängt an, auf ihre zurückgenommene Art für ihre Ehre zu kämpfen. Ihr Vergewaltiger gibt sich zu erkennen und bietet ihr die Ehe an. Er umwirbt sie solange geduldig in aufrichtiger Reue und Liebe, bis sie ihm verzeiht.
Diese für heutige Verhältnisse ganz unzeitgemäße Geschichte von Heinrich von Kleist beleuchtet genau den Handlungsspielraum einer Frau der Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Das Gastspiel des Turmalin-Theater unter der Regie von Günter Bauer beeindruckte die Zuschauer im Monsuntheater mit der klaren, konzentrierten Darstellung.
Wie eine ferngelenkte Puppe bewegt die Marquise sich in abgezirkelten reduzierten Gesten und auf vorgezeichneten Wegen. Ihre Haltung zeugt von anerzogenen Regeln. Sie redet mit wohl gesetzten Worten. Ihre Aussprache ist künstlich akzentuiert. So zeigt sich die Marquise bei Cornelia Gutermann-Bauer. Das ist folgerichtig, denn Raum zur eigenen Lebensentfaltung wurde dieser Frau in ihrer Stellung nie gestattet. Erst ihr Ausgestoßensein gibt ihr neue Freiheiten. Diese Entwicklung zu Selbstbewusstsein und Stärke hätte jedoch noch mehr Entsprechung in einer Veränderung der darstellerischen Mittel finden dürfen.
Birgit Schmalmack vom 18.6.10