Hamburg150%
Dieses Jahr findet das Festival Hamburg 150%, das am Hamburger Sprechwerk seinen Anfang nahm, gleich an drei Spielstätten gleichzeitig statt: am Ursprungsort, auf Kampnagel und im Monsun Theater.
Der Freitag bot auf Kampnagel gleich zwei Sprechtheaterinszenierungen und zwei Tanzperformances an einem Abend. Während letztere als Einblicke in die Werkstatt der pasdach company und der Tänzerin Victoria Hauke gedacht waren, boten Torsten Diehl mit „Ostpolzug“ und Isabelle McEwen mit „Hure“ (selbst in der Kurzfassung) ausgefeilte Inszenierungen. Letztere provoziert mit nichts verschweigenden Bildern über den Alltag einer Hure, die ungewöhnlich tiefsinnig und offen über ihre Arbeit, ihre Wünsche, Ängste und Träume berichtet (siehe ausführliche Kritik zur Aufführung im Hamburger Sprechwerk). Ostpolzug war eine Hamburger Premiere. Julia Jessen betritt wie eine Diva im gleißenden Scheinwerferlicht die Bühne. Allerdings vermisst sie die diva-like Behandlung durch ihren Stab. Statt Kostümen, die einer Königsrolle angemessen wären, findet sie auf dem Garderobenständer nur Blümchenkleider, eine blonde Perücke und Riemchen-Pumps. So soll sie Alexander den Großen verkörpern? Während sie noch über die Zumutungen stöhnt, denen eine Schauspielerin heutzutage so ausgesetzt ist, nimmt sie schon die Herausforderung an. Schließlich hatte auch der große Feldherrn und Eroberer so manches Hindernis zu überwinden.
Nach dem Text von Arnolt Bronner begibt sich Julia Jessen auf eine Zeitreise zu Alexander dem Großen, der 329 v. Chr. nach Osten zog. Auf der Suche nach Selbsterkenntnis spürt sie als Frau den Gefühlen des erfolgreichen Mannes nach. Zwischen den Szenen, die verschiedenen Aspekten und Abschnitten in Alexanders Werdegang nachspüren, schiebt sie immer wieder selbstreflexive Momente, in denen sie über ihr Standing, ihr Outfit und ihre Fehler in der Darstellung nachgrübelt. Immer wieder kommentiert sie dann im Morgenmantel ihr letztes Spiel. Ist sie dem wahren Alexander endlich näher gekommen? Weiß sie endlich, was ihn angetrieben hat? Doch dann sprintet sie schon wieder zum Garderobenständer, um mit einem neuen Outfit einen neuen Aspekt auszuloten.
Julia Jessen macht ihr Spiel im Alleingang zu einer immer präsenten Tour de force durch die 1 ¾ Stunden der Aufführung. Zu einem Gesamtkunstwerk wird die Inszenierung durch die Musik von Murnau-Jessner Bros und die kunstvollen Videoeinspielungen auf drei Leinwänden von Mued van de Schlaaf. Letztere mixt und verfremdet auf technisch höchst anspruchsvolle Weise aktuelle Bilder der Aufführung mit aufgezeichneten Filmsequenzen und Filmausschnitten. Bei der Vielfalt der visuellen und akustischen Eindrücke, die zum Teil zeitgleich auf den Zuschauer einstürmen, gelingt es nicht immer, sich ganz auf den Text zu konzentrieren. Aber man überlässt sich gerne dem Rausch der Bilder, Töne und Wörter. Ein eindrucksvolles Theatererlebnis und sicher ein Höhepunkt des diesjährigen Festivals.
Birgit Schmalmack vom 18.11.06
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