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Mein Ball
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Endlich mal wieder jemand sein
Erik Gedeon wagt in seiner Musikcollage „Mein Ball“ einiges. Er will dem Publikum auf vergnügliche Art und Weise den Spiegel vorhalten. Er wählt dazu ausgerechnet so ernste Themen wie die das Dritte Reich und die Fußballweltmeisterschaft. Und kombiniert auch noch beides. Er karikiert die Person Adolf Hitler und verkleinert sie dabei zu einer Lachnummer. Anklänge an Charlie Chaplin und seinen Diktator werden wach. Hitler wird bei ihm zu einer jämmerlichen Gestalt in seinem Führerbunker. Nicht einmal zum Selbstmord kann er sich entschließen. Immer wieder hebt er die Pistole und um sie gleich wieder absinken zu lassen. Denn er hat wieder Hoffnung geschöpft. Vielleicht kann er mit seinem guten Namen die Deutschen doch noch zu ungeahnten Höhen führen? Er wittert eine Chance in dem Sieg der Fußballweltmeisterschaft. Was 1957 Wirklichkeit wurde und wovon Deutschland heute wieder zu träumen wagt, soll auch Hitler zu schon entschwundenem Ruhm verhelfen. Unter Bombengetöse und Granatenhagel, der von ferne vom schon verlorenen Krieg außerhalb der dicken Mauern des Führerbunkers kündet, träumen Eva Braun (Sandra Maria Schöner), Goebbels (Jörn Knebel) und seine Frau (Verena Fitz), der SS-Gefährte Johann (Achim Buch) und die Sekretärin Traudl (Jana Scholz) ihren letzten Traum. Vielleicht werden die Deutschen doch noch wieder wer.
Gedeon mischt locker die zeitlichen Ebenen. Während die über Funk übertragenen Reden, die die Anwesenden für das abwesende Volk sprechen aus heutigen Tagen kommen, wird die Reichkriegsflagge geschwungen, werden die Hitlerbanderolen verteilt und die Uniformen zurechtgerückt. Zu Gast bei Freunden sollen die WM-Besucher heute sein. Als eine feindlicher, russischer Fallschirmspringer versehentlich bei den Deutschen landet, zeigt Johann drastisch, wie das Sicherheitskonzept aussieht: Er tritt den Feind mit schweren Stiefeltritten zusammen, bis er gekrümmt und blutig am Boden liegt.
Gedeon wäre nicht Gedeon, wenn er nicht die Musik als Vehikel seine Botschaft benutzen würde. Zu Rock ´n Roll versuchen die Hiltertreuen sich zum letzten Gefecht zu motivieren. Da zeigt auch Hitler Gefühle. Er entpuppt sich als zartfühlender Daddy, der seine ungehorsamen Kinder gerne zu einem ernsten Gespräch auf seinen Schoß setzt und anschließend Fruchtbonbons verteilt. Doch zum Ende offenbart auch er sein wahres Gesicht: „If you don´t know me by now, you will never know me“ und lächelt maliziös, während er den Schießbefehl zur Beseitigung des russisches Kurzzeitgefährten gibt.
Dass der Abend größtenteils mit Bravos quittiert wurde, liegt nicht zuletzt an dem Hauptdarsteller Tim Grobe. Er versteht die Gradwanderung einer angemessenen Hitlerdarstellung in jeder Sekunde perfekt zu bestehen. Er lässt die Abgründe ahnen, auch wenn sie der Text noch nicht mal andeutet. Doch auch die anderen Darsteller sind sowohl stimmlich wie schauspielerisch äußerst präsent.
Birgit Schmalmack vom 23.5.06