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Terrorzelle Familie

Baracke, DT © Thomas Aurin

Was ist das, die Liebe? Wie entstehen Beziehungen? Gibt es die Wahrheit in Bindungen? Oder konstruiert sich qua System ein Geflecht aus Lügen? Ist die Gleichung Ich-Du-Wir nicht eine Illusion, die zwangsläufig im Unheil enden muss?
Dabei fängt es doch meist so zwanglos an, auf einer Party, mitten im Feiern des Augenblicks gibt es diese Ich-Du-Attraktion. Die Beiden glauben da noch, sie seien etwas ganz Besonderes, sie würden sich ihr spezielles Einverständnis erhalten können. So auch Bea (Mareike Beykirch) und Ramin (Jeremy Mockridge). Doch schon ihre ersten ernsthaften Kommunikationsversuche sind zum Scheitern verurteilt. Wenn Ramin ganz harmlos fragt: „Kennst du das?“, echauffiert sich Bea über den fehlenden Kitzel durch das Neue und Unbekannte. Wenn sie ihm dagegen ihre Liebe gestehen will, schweigt er hartnäckig und verweigert die Responsivität, die sie von ihm erwartet. Schon in diesem Anfangsstadium ist klar: Die werden nicht lange eine glückliche Einheit bilden können.
So zieht es Bea zu dem aufregenderen Uwe aus der Kleinstadtclique hin, der im Gegensatz zum Schlabberpulli-Ramin in Motorradkluft um die Ecke kommt und sich in Gewaltstories ergeht. Es kommt, wie vorhersehbar: in der Mündung dieser Zweierkiste in einer Familie. Doch wer will sich eigentlich schon Kinder anschaffen? Freiwillig? Dennoch passieren sie einfach. Und die Folge ist diese grenzenlose Herausforderung zur Verausgabung und zur Selbstverleugnung. Ständig konfrontiert mit dem Willen dieses kleinen Tyrannen, ganz im Jetzt zu sein. Die Frau erträgt, sorgt und kümmert sich dabei und der Mann rastet von Zeit zu Zeit aus. Doch die Frau liebt, versteht und bleibt. Doch wohin mit all der Enttäuschung, mit der Wut und der Trauer?
In seinem neusten Stück „Baracke“ untersucht der Autor Rainald Goetz die biederbürgerliche Vorstellung von Liebe und Familie, die schon immer Risse aufwies. Er hinterfragt die Idylle, die Regisseurin Claudia Bossard in einem Museum des 21, Jahrhunderts auf der Bühne in historisierten Kostüme in Glaskästen ausstellt. Irgendwann steigen sie (Andri Schenardi, Natali Seelig) aus diesen aus und werden zur lebendigen Familie von Bea und Uwe, die es mittlerweile aus der thüringischen Kleinstadt in eine schicke Dresdener Villa geschafft hat. Doch ihre gewaltvollen Beziehungen sind mit umgezogen und höhlen ihr Familienleben aus.
Die Wurzeln allen Unheils liegen also in der kleinsten Terrorzelle der Gesellschaft, in der Familie. Hier werden die Samen der Gewalt gesät und gepflegt, die sich hinter der gutbürgerlichen Fassade verbergen. Wer wüsste das nicht? Ich auch, ich auch, me too, me too, so tönt es auf einer Familienfeier, bis einer aufsteht und dagegenhält: Ich nicht! Wie solle das denn gehen? In dieser zwischenmenschlichen Phase der Annäherung, der naturgemäßen Grenzüberschreitung der Distanz- und Intimgrenze des Anderen, des noch Unbekannten, immer den offenen Konsens herzustellen, sogar zu verbalisieren? Also: Ich nicht, behauptet einer aus der Männerrunde und streift sich das Bananenkostüm über. Vor seinen Beinen baumelt nun während seiner flammenden Rede vielsagend der untere Teil der Banane herum. Bei der Me-Too-Debatte saßen alle Beteiligten mit Brillen, Schnurrbärten und Krawatten über den weißen Hemden, aber ohne Beinkleider, am Debattentisch. Männer unter sich diskutieren mit fuchtelnden Händen, in denen sie Zigaretten halten, über ihre Erfahrungen mit dem leidigen Verliebtsein, der Liebe und mit dem Sex. Herrlich larmoyant, herrlich skurril. Und eine Reminiszenz an den ersten legendären Auftritt von Goetz in Klagenfurt.
Bossard versucht nicht, Rainald Goetz Stück „Baracke“ direkt in eine nachvollziehbare Geschichte mit einem klaren Handlungsstrang zu bringen. Nein, sie bricht ihn vielmehr noch weiter zu einem assoziativen Bilderreigen auf, der sich der direkten Eins-zu Eins Analogie widersetzt. Damit folgt sie Goetz in seinen elaborierten, ausufernden, gesellschafts-philosophischen Betrachtungen, die nur scheinbar zufällig die drei Figuren Bea, Armin und Uwe in den Mittelpunkt dieser Versuchsanordnung stellt und sich ihre mehr oder weniger scheiternden Liebesbeziehungen vorknöpft, um seine These der Entstehung von Gewalt in der kleinsten Terrorzelle auf die Probe zu stellen. Denn er zieht nicht nur die Verbindungslinien von diesem privaten Unglück und der intimen Gewalt zu der gesellschaftlich-politischen Aggression. Sondern er zieht sogar eine Linie von dieser thüringischen Clique zu der NSU-Terrorzelle, die deutschlandweit Morde an Migranten verübte. Die Regisseurin geht nicht in die Falle diese These allzu stringent zu verfolgen. Sie spielt vielmehr mit den Szenen, den Eruptionen, den Monologen, den Ergüssen, den Wortspielereien des Ravers und Psychoanalytikers Goetz ebenso wie er selbst. Und das ist gut so.
Birgit Schmalmack vom 20.10.23