Wer ist hier der Schurke?
Eine schmale lange rostfarbene Kiste trennt die Bühne in zwei Hälften. Sie passt farblich hervorragend zum Industrieambiente des Südgeländes in Schöneberg, wo die Shakespeare Company ihre Open-Air-Bühne hat. Hier nimmt das Drama von einem, der zu viel liebte, seinen Lauf. Othello ist der Fremde in Venedig. Er ist der Außenseiter in diesem Reich, in dem der Doge das Sagen hat. Als die Türken mit ihren Schiffen vor Zypern anrücken, wird er dennoch zum General gemacht, um sie zurückzudrängen. Denn er ist ein Mann des Krieges. Hart geworden durch seine Pflicht als Soldat, hat er bisher jegliche Emotionen aus seinem Leben verbannt. Doch dann lernt dieser harte Brocken die schöne Desdemona kennen und schenkt ihr sein bisher ungerührtes Herz. Er erlaubt sich eine Schwäche und hat ab jetzt eine empfindliche Stelle. Die weiß der Strippenzieher Jago geschickt zu nutzen. Er erschleicht sich Othellos Vertrauen und dirigiert so nicht nur sein Handeln sondern auch sein Fühlen. Durch gezielte kleine Giftspritzen der Eifersucht stachelt er seine Raserei und Rachegelüste stetig an.
"Othello" ist ein Stück über Macht, Hass, Manipulation, Liebe, Eifersucht und Rache. Für die gefühlsprallen Stücke von Shakespeare sind all diese Ingredienzien nichts Ungewöhnliches. Doch "Othello" ist auch eines über Ausgrenzung und Rassismus. Denn Othello ist im Original ein Schwarzer Mann. Das in Zeiten wie heute auf die Bühne zu bringen, in denen über Vertretungsansprüche, Blackfacing und Identitätspolitik heiß diskutiert wird, würde einen Sommerabend mit ziemlich viel Zündstoff befeuern. Doch die Shakespeare Company Berlin steht für pures Theatervergnügen inmitten von rauschenden Bäume, singenden Vögel und idyllischem Naturambiente. So inszeniert der Regisseur statt eines problembehafteten Stückes über Rassismus einen Thriller. Bei ihm ist Othello kein äußerlich Fremder sondern ein weißer Mann, der allerhöchstens durch seine Glatze heraussticht. Nicht unbedingt ein Schönling. Im Gegensatz zu der blonden langmähnigen Desdemona, die alle Männer in ihrem Umkreis zu Fantasien anregt. Was sie an dem Glatzkopf reizt, wird nur angedeutet: Dass er Schlimmes überstanden hat, habe ihr Mitleid erregte. "Ja, mein Gemahl", so wird sie immer wieder voller Unterwürfigkeit sagen. Dennoch wird Othello ihre angebliche Untreue zu keinem Zeitpunkt hinterfragen. Der harte Krieger ist verletzt und braucht Rache. So wird es angedeutet. Doch man ahnt, dass ohne den Aspekt der rassistisch motivierten Ausgrenzung ein Motiv fehlt, das erst zum tieferen Verständnis seines Handelns beitragen würde.
Das Ensemble ist wie gewohnt eingespielt, souverän und wandlungsfähig. Sie spielen, singen und musizieren. Und sie treten als Trommelgruppe auf. Was dem Stück den nötigen Drive und eine weitere wohltuende Ebene verleiht. Immer wenn die Schauspieler:innen zu den Trommelstöcken greifen, treten sie aus ihren Rollen heraus und deuten eine Möglichkeit der Draufsicht an. Diese wird auch durch die Kostüme eingenommen. Aus Jeansresten wurden kunstvolle Uniformen und Kleider gefertigt, die das Militärische geschickt ironisieren. So liefert dieser Theaterabend was er soll, gut gemachte spannende Unterhaltung mit ein bisschen Nervenkitzel, nicht mehr und nicht weniger.
Birgit Schmalmack vom 5.6.21